Überraschendes Ergebnis: Tübinger Stadtfahne stammt aus dem Hochmittelalter
Pressemitteilung vom 04.07.2014
Existiert jene Fahne noch, die Herzog Ulrich den Tübingern nach der Niederschlagung des Armen Konrads vor 500 Jahren auf dem Schlachtfeld von Schorndorf überreicht haben soll? Um diese Frage zu klären, wurde jetzt die älteste Stadtfahne Tübingens wissenschaftlich untersucht. Die chemische Analyse mit der sogenannten C14- oder Radiocarbon-Methode brachte höchst erstaunliche Ergebnisse hervor: Das Tuch ist sogar noch viel älter als der Tübinger Vertrag und stammt zweifelsfrei aus dem 11. oder 12. Jahrhundert.
„Mit dieser Sensation hat niemand gerechnet“, sagte Oberbürgermeister Boris Palmer, der die Altersbestimmung anlässlich des 500. Jubiläums des Tübinger Vertrags angeregt hatte. „Die Fahne ist deutlich älter als das Turiner Grabtuch und Experten zufolge das mit Abstand älteste Fahnentuch in Südwestdeutschland.“
Die offensichtlich falsche Jahreszahl 1511, die auf der Fahne klar zu lesen ist, hatte die Fachleute zuvor auf eine falsche Fährte gelockt. Der lateinische Text auf der Rückseite des Tuches beschreibt nämlich, „dass diese Fahne von Herzog Ulrich an die Tübinger 1514 übergeben wurde“(*). Da die Fahne zudem in einem recht guten Zustand ist, lag vor der Untersuchung die Vermutung nahe, dass es sich um eine – fehlerhafte – Nachahmung aus dem 19. Jahrhundert handelt. Umso größer ist jetzt die Überraschung: Teile des Fahnentuches stammen aus dem 11. bis 12. Jahrhundert, die Farbe wahrscheinlich aus dem 17. bis 18. Jahrhundert. Der gute Zustand der Fahne und die falsche Jahreszahl erklären sich durch mehrfache Restaurierungen, zuletzt im Jahr 1989.
Die Wiederauffindung und die Rekonstruktion der Geschichte der Fahne verdankt die Stadt ihrem Archivar Udo Rauch. Die neuen Ergebnisse erhärten seine These, dass es sich bei dem Tuch um jenes Original handelt, das Herzog Ulrich auf dem Schlachtfeld von 1514 an die Tübinger übergab. Als Belohnung für die Tübinger Unterstützung bei der Niederschlagung des Aufstandes hatte der Herzog das alte Stadtwappen, die rote dreilatzige Fahne, um zwei verschränkte Arme mit den württembergischen Hirschgeweihstangen vermehrt. Der ehrenvolle Zusatz ziert bis heute das Tübinger Stadtwappen.
Die Datierung auf das 11. oder 12. Jahrhundert wirft neue Fragen auf: Handelt es sich bei der dreilatzigen Fahne in der Mitte des Tuches etwa um Original-Überreste aus der Fahne der ersten Pfalzgrafen oder Grafen von Tübingen? Dann wäre dieses mit Sicherheit die älteste württembergische Fahne und weltweit eines der wenigen Fahnentücher, die aus der Zeit des Hochmittelalters erhalten geblieben sind.
Dies würde bedeuten, dass dieselbe Fahne über 900 Jahre lang in Tübingen bewahrt und 1514 mit dem Motiv der Hirschstangen erweitert wurde. Zahlreiche Übermalungen und Restaurierungen wurden im Laufe der Zeit vorgenommen, aber ein alter Kern ist erhalten geblieben. Um die Schichten genauer zu datieren, sind umfangreiche Untersuchungen notwendig, die das Stadtarchiv und das Stadtmuseum Tübingen mit Unterstützung von weiteren Landeskundlern, Naturwissenschaftlern und Restauratoren durchführen wollen.
Wer die Fahne sehen möchte, hat dazu Gelegenheit während des langen Samstag des Tübinger Vertrags am Samstag, 12. Juli 2014. An diesem Tag wird die Fahne im Stadtmuseum ausgestellt, bevor sie für die weiteren Untersuchungen zunächst wieder den Blicken der Öffentlichkeit entzogen wird.
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(*) Deutsche Übersetzung der lateinischen Beschriftung auf der Fahnenrück-seite: „Der erlauchteste Fürst und Herr, Herr Ulrich, Herzog von Württemberg und Teck, Graf von Mömpelgard usw., hat wegen des einzigartigen erwiesenen Gehorsams, wie er Untertanen ziemt, und wegen der geleisteten Treue dem Rat und Volk von Tübingen sowie ihren Nachkommen dieses ausgezeichnete Erinnerungszeichen der Dankbarkeit gnädig verliehen.“
www.tuebingen.de/stadtmuseum
Hinweis für die Presse: Fotos von der Fahne finden Sie bei uns im Download-Bereich: www.tuebingen.de/pressebilder
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen