Jahrhundert-Rebellen beim Literatursommer 2014 in Tübingen
Pressemitteilung vom 25.08.2014
Der Literatursommer 2014 steht unter dem Motto „Worte sind Taten – Zivilgesellschaftliches Engagement in der Literatur“. Zu den rund 160 Veranstaltungen in Baden-Württemberg zählen Lesungen, Schreibwerkstätten, Musikinszenierungen und Theaterprojekte, dazu Symposien, Vorträge oder Radiofeatures. Veranstaltet wird die Reihe von der Baden-Württemberg-Stiftung.
In Tübingen organisiert der Fachbereich Kunst und Kultur mehrere Veranstaltungen, die unter dem gemeinsamen Motto Jahrhundert-Rebellen stehen. Zur Sprache kommen die Protagonisten des Armen Konrad aus dem 16. Jahrhundert, der Verfasser der Rosenkreuzer-Schriften aus dem 17. Jahrhundert, Christian Friedrich Daniel Schubart (18. Jahrhundert) sowie der Vormärz-Dichter Georg Herwegh (19. Jahrhundert). Für das Rebellentum im 20. Jahrhundert stehen in dieser Reihe Bernward Vesper und Gudrun Ensslin.
Gelesen und erzählt wird ab Donnerstag, 11. September 2014, an wechselnden Orten, darunter das Evangelische Stift, die Platanenallee, das Sudhaus und das Zimmertheater.
Alle Veranstaltungen in Tübingen: www.tuebingen.de/literatursommer
Alle Veranstaltungen in Baden-Württemberg: www.literatursommer.de
Programmübersicht zum Literatursommer 2014
Donnerstag, 11. September 2014
20 Uhr
Evangelisches Stift, Kapelle, Klosterberg 2
Eintritt frei
Wilhelm Schmidt-Biggemann:
17. Jahrhundert:
Johann Valentin Andreae und die Rosenkreuzerschriften
Die sogenannten Rosenkreuzer-Schriften Fama Fraternitatis (1614), Confessio Fraternitatis (1615) und Chymische Hochzeit (1616) des jungen Stiftsstudenten Johann Valentin Andreae (1586-1654) waren im unmittelbaren Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges als satirische Utopien gegen die Konfessionsspaltung gedacht. Die Idee einer Jahrhunderte lang im Geheimen existierenden Gesellschaft „weiser Männer“ stieß auf begeisterte und ablehnende Reaktionen in ganz Europa und entwickelte ein ungeahntes Nachleben, von diversen Ordensgründungen bis hin zu Rudolf Steiners Rosenkreuzer-Verschwörungsmythen oder Umberto Ecos Konstrukt im Roman „Das Foucaultsche Pendel“. Andreae selbst ist mit seinem wechselvollen Leben, seinem sozialen und religiösen Engagement – zum Beispiel im Calw des Dreißigjährigen Krieges oder beim Wiederaufbau der Tübinger Universität nach dem Ende desselben – eine der eindrucksvollsten Gestalten des 17. Jahrhunderts. Seine Rosenkreuzerschriften bezeichnete er später als „Jugendsünde“.
Wilhelm Schmidt-Biggemann, geboren 1946, ist Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Seine zahlreichen und einflussreichen wissenschaftlichen Arbeiten befassen sich u.a. mit Religionsphilosophie sowie der Philosophie und Philologie der Frühen Neuzeit. Seit 1994 ist er Herausgeber der wissenschaftlichen Ausgabe der „Gesammelten Schriften“ Andreaes.
Mittwoch, 1. Oktober 2014
17 Uhr
Platanenallee, Taubenhaus – Stadtspaziergang
Eintritt frei
Wilfried Setzler / Jürgen Seibold:
16. Jahrhundert:
Der Arme Konrad und der Bauernkrieg
in Kooperation mit dem Stadtmuseum Tübingen
Der Arme Konrad war der Deckname der Bauernbünde, die sich 1514 gegen den Herzog Ulrich von Württemberg erhoben und deren Aufstand mit dem berühmten „Tübinger Vertrag“ scheiterte. Der Autor Jürgen Seibold und der Historiker Wilfried Setzler führen in der Tübinger Altstadt an die wichtigen Orte. Historische Informationen werden ergänzt durch die Lesung aus Seibolds packendem Roman über den Rebellen Peter Gaiß.
Wilfried Setzler, geboren 1943, ist Honorarprofessor der Universität Tübingen und war bis 2008 Leiter des Kulturamtes. Er hat zahlreiche Bücher zur Literatur und Geschichte des Südwestens veröffentlicht.
Jürgen Seibold, geboren 1960, ist freier Journalist und erfolgreicher Autor von hervorragend recherchierten Sachbüchern, Kriminalromanen und historischen Romanen. Seine humorvollen Lesungen sind stets ein besonderes Erlebnis.
Freitag, 3. Oktober 2014
20 Uhr
Sudhaus, Hechinger Straße 203
Eintritt 11 Euro / 8 Euro (Vorverkauf: 9,70 Euro / 6,50 Euro)
Bernd Jürgen Warneken / Uwe Zellmer / Wolfram Karrer:
18. Jahrhundert:
Christian Friedrich Daniel Schubart – der Kritiker auf dem Hohenasperg
Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) war nicht nur der heftigste Kritiker des Herzogs Carl Eugen und wurde dafür auf dem Hohenasperg inhaftiert. Der umtriebige, persönlich nicht unumstrittene Publizist trat – was damals avantgardistisch war – für die gleichen Rechte der Juden, für die kulturelle Wertschätzung der Türken, gegen die Unterdrückung der Kolonialvölker und gegen die Sklaverei ein. Er wurde dreimal, aus Württemberg, aus Bayern und aus der Reichsstadt Augsburg, vertrieben – und sagte, dass er ohne Vaterland dastehe. Bernd Jürgen Warneken, Uwe Zellmer und Wolfram Karrer am Akkordeon bieten ein vielfältiges Portrait des umstrittenen Rebellen.
Bernd Jürgen Warneken, geboren 1945, ist Professor am Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen. Seine Arbeiten befassen sich unter anderem mit der Geschichte des Alltags, der populären Kultur und der Kulturtheorie. 2009 legte er als Band der „Anderen Bibliothek“ die erste umfassende Schubart-Biographie vor.
Uwe Zellmer, geboren 1946, ist Oberstudienrat, Autor und Theatermacher. 1981 hat er das Theater Lindenhof mitbegründet und prägt seither dessen Arbeit als Intendant, Regisseur, Autor und Schauspieler.
Der Akkordeonist Wolfram Karrer ist engagierter Theatermusiker (unter anderem bei der aktuellen Produktion des Tübinger Sommertheaters „Der Arme Konrad“), Solist, Komponist und Kinderliedermacher. Seine Arbeit führte ihn unter anderem nach Stuttgart, Schwäbisch Hall, Gießen und immer wieder nach Melchingen ins Lindenhoftheater.
Dienstag, 14. Oktober 2014
20 Uhr
Zimmerheater, Bursagasse 16
Eintritt: 7 Euro / 5 Euro
Ulrich Enzensberger / Johannes Karl:
19. Jahrhundert:
Georg Herwegh – ein proletarischer Dichter des Vormärz
Der in Stuttgart geborene Student des Evangelischen Stifts Georg Herwegh (1817-1875) entwickelte sich zu einem der wichtigsten sozialistischen Publizisten und bedeutendsten „proletarischen“ Dichter des Vormärz, dessen Werk sein Biograph Ulrich Enzensberger als „Mischung aus Verbitterung und Verbiestertheit, aus Großsprechertum und Gewaltbereitschaft“ bezeichnet hat. Enzensberger stellt Herweghs Leben vor, Johannes Karl vom Tübinger Zimmertheater spricht ausgewählte Texte:
„Ob jung oder alt, mitunter war er Dichter – Wir haben lang genug geliebt, wir wollen endlich hassen! Die Zeile kam von Herzen, kommt heute noch gut. Mitunter auch Held, noch im Alter, nach der Reichsgründung. Mit patriotischem Ergötzen / Habt ihr Viktoria geknallt; / Der Rest ist Schweigen oder Lötzen, / Kriegsidiotentum, Gewalt.
Einerseits zu klein, andererseits zu groß, passte er nie ins Schulbuch. Ohne jeden Anlass seiner gedenken, einfach so, ganz ohne Pauken und Trompeten? Parteilos. Lachend? Warum nicht? Mit einer Prise Respekt?“
Ulrich Enzensberger, geboren 1944, ist freier Journalist und Schriftsteller und lebt heute in Berlin. 2004 erschien sein Bericht über „Die Jahre der Kommune I. Berlin 1967-1969“, 1999 als Band der „Anderen Bibliothek“ die erste neuere Biographie zu Herwegh: „Herwegh. Ein Heldenleben“.
Johannes Karl, geboren 1982, hat Schauspiel in Berlin studiert und neben Film- und Fernsehrollen an Theatern in Berlin und Graz gearbeitet. Seit der Spielzeit 2011/2012 gehört er zum Ensemble des Tübinger Zimmertheaters.
Donnerstag, 16. Oktober 2014
20 Uhr
Königsgesellschaft Roigel, Burgsteige 20
Eintritt frei
Michael Kapellen:
20. Jahrhundert:
Bernward Vesper und Gudrun Ensslin in Tübingen
Bernward Vesper (1938-1971), Sohn des NS-Dichters Will Vesper, und Gudrun Ensslin (1940-1977), Tochter eines Pastors, lernten sich als Studenten Anfang der 60er-Jahre in Tübingen kennen und begannen hier ihre politische und publizistische Tätigkeit; geplant war unter anderem die Herausgabe der Werke von Vespers Vater. Ihre Beziehung endete in Berlin, als Ensslin Andreas Bader kennenlernte. Vesper nahm sich 1971 das Leben. Sein autobiografischer Bericht „Die Reise“ blieb Fragment und erschien erst 1977. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seines Vaters, seiner politischen Radikalität und seinen Drogenexzessen gilt als wichtige Innensicht der 68er-Generation. Gudrun Ensslin radikalisierte sich als Gründungsmitglied der RAF und beging mit Bader und Jan-Carl Raspe in der JVA Stammheim Selbstmord. Über die Tübinger Zeit Vespers und Ensslins spricht Michael Kapellen und befragt Zeitzeugen im Haus der Königsgesellschaft Roigel, deren Mitglied Vesper war. Zu Wort kommen unter anderem Dietrich Gradmann und Martin Klumpp.
Michael Kapellen, geboren 1967, ist Germanist und Anglist und unterrichtet an einem Gymnasium in Balingen. Von 1991 bis 1996 war er der Herausgeber der Literaturzeitschrift „AgoNie“. Sein Buch „Doppelt leben – Bernward Vesper und Gudrun Ensslin. Die Tübinger Jahre“ erschien 2005 bei Klöpfer & Meyer.
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen