Drei runderneuerte Höfe – Feier der Fertigstellung am 27. September
Pressemitteilung vom 22.09.2014
Noch vor zehn Jahren gab es an der B27 Tübingens größtes Problemviertel. Stadt und GWG haben es gemeinsam mit Helfern umgestaltet.
Tübingen. Ein weiteres Quartier in der Tübinger Südstadt ist fertig geworden: die ehemalige Stuttgarter Straße 62-86, ein Areal mit drei Höfen. Seit 2006 war hier gebaut worden. Sechs Wohnblöcke sind inzwischen saniert, vier Neubauten hinzugekommen. Das Ungewöhnliche: Es ging nicht nur um bauliche Fragen, auch eine behutsame soziale Umstrukturierung war gewollt. Denn zuvor galt diese Gegend von Tübingen als sozialer Brennpunkt. Jetzt ziehen Stadtverwaltung und GWG Tübingen Bilanz.
1991 zog die französische Armee aus Tübingen ab und hinterließ zahlreiche Gebäude und Areale in der Südstadt. In den ersten zehn Jahren konzentrierten sich die Sanierer auf das Loretto-Areal und das Französische Viertel. Genau dazwischen liegt ein kleines Quartier, das lange ausgeklammert wurde: sechs marode Wohnblöcke mit insgesamt 120 Wohnungen, am Rand der viel befahrenen B27 gelegen, zwischen Galgenberg- und Schweickhardt-Kreuzung. Ein Quartier, in dem Wohnungen groß und Mieten günstig waren. Großfamilien aus vielen Nationen wohnten dicht aufeinander. Soziale Probleme häuften sich. „Wenn sich Jugendliche mit dieser Adresse auf eine Lehrstelle beworben haben, hatten sie schlechte Chancen“, erinnert sich GWG-Geschäftsführer Gerhard Breuninger. Die GWG war seit 1997 Eigentümer der Wohnblöcke und hatte sie auf politischen Wunsch übernommen. In manchen Jahren investierte die GWG mehr in die Instandhaltung und in die Beseitigung des Vandalismus, als sie an Mieten einnahm. Binnen zehn Jahren spitzte sich die Lage weiter zu. Schulen und Kindergärten schlugen Alarm.
„Allen war damals klar, dass es so nicht mehr weitergeht“, sagt im Rückblick Tübingens Baubürgermeister Cord Soehlke. „Wir wollten das Quartier sanieren, und wir wollten es auch gezielt verändern. Die Umgestaltung war allerdings anders und komplizierter als im Loretto und im Französischen Viertel; hier waren die Gebäude bewohnt. Wir wollten niemanden verdrängen. Die Aufgabe war somit, eine Umgestaltung so anzupacken, dass sie auch sozialverträglich war.“
Im Jahr 2003 begannen intensive Gespräche über den Wandel. Eine Befragung aller Bewohner und große Bewohnerversammlungen folgten. Ein Begleitkreis war fest eingebunden. Er hatte sich gebildet aus Vertretern umliegender Schulen, Kindergärten, Kirchengemeinden, von GWG, Kreisjugendamt und aus dem städtischen Fachbereich für Familie, Schule, Sport und Soziales. Außerdem waren Bürgerinitiativen dabei, das Jugendhaus und soziale Träger wie die Martin-Bonhoeffer-Häuser, die im Quartier präsent waren durch die Beratungsstelle „NaSe“, die Nachbarschaftliche Selbsthilfe.
2006 starteten die Bauarbeiten, im Frühjahr 2014 wurden sie abgeschlossen. Ein Hof nach dem anderen wurde fertig. Heute sind die sechs Altbauten, die von französischem Militär Anfang der 1950er-Jahre errichtet worden waren, hochwertig saniert. Einige Gebäude hat die GWG behalten und vermietet die Wohnungen, aus anderen Altbauten wurden Eigentumswohnungen. Vier Gebäude sind hinzugekommen und schließen die drei Höfe gen Süden ab. Dort gibt es neun Gewerbeeinheiten. Aus 120 Wohnungen sind jetzt 171 geworden. Jeder der drei Innenhöfe wurde individuell gestaltet, mit viel Grün.
Rund 530 Menschen leben derzeit dort, ähnlich viele wie zuvor. Die soziale Struktur hat sich geändert: Früher war fast jeder zweite Bewohner ein Kind oder Jugendlicher unter 18 Jahren, heute ist es noch ein knappes Drittel. Ebenfalls knapp die Hälfte der Bewohner hatte früher keinen deutschen Pass, heute ist es ein Viertel. Es gibt einen von der GWG vermieteten Bürgertreff, in dem Anwohner gemeinsam etwas unternehmen können oder auch, dann gegen eine geringe Miete, private Feste feiern. Vor der Sanierung war ein Kindergarten in baufälligen Wohnungen untergebracht. Inzwischen gibt es ein Kinderhaus mit kindgerechten Räumen in zwei Neubauten sowie Spielgelände in zwei Innenhöfen. Die Mieten in den unsanierten Franzosen-Immobilien waren einst die niedrigsten in Tübingen. Auch heute kann man dort noch preiswert wohnen: Die GWG hat geförderte Sozialwohnungen errichtet und bleibt bei den übrigen Wohnungen etwa 30 Prozent unter den Vergleichsmieten des Mietspiegels.
„Es ist gelungen, aus dem einst benachteiligten Gebiet in der Stuttgarter Straße ein lebendiges, vielfältiges Stück Stadt zu machen“, sagt Baubürgermeister Soehlke. „Selten wurde ein Bauprojekt so eng verknüpft mit einer sozialen Zielsetzung“, bilanziert GWG-Geschäftsführer Breuninger. Er kann sich gut vorstellen, dass das Projekt für andere Sanierungen zum Vorbild wird: „Für uns war es lehrreich zu erleben, was geschehen kann, wenn man eine so herausfordernde soziale Zusammensetzung als eine Qualität begreift, die es zu erhalten und auch bewusst zu stärken gilt.“ Cord Soehlke dankt allen, die mitgearbeitet haben: „Viel Freizeit, Herzblut und Überstunden sind in dieses Projekt geflossen. Ohne diese Kräfte wäre es nicht so gut geworden.“
Broschüre „Neues Leben in drei Höfen“
Die GWG erzählt die Geschichte dieses Bauprojekts in einer 48-seitigen Broschüre nach. Sie schaut zurück, wie sich Tübingen als Garnisonsstadt entwickelt hat und wie die sechs Wohnblöcke einst von den Franzosen errichtet wurden: gegen heftige Proteste der damaligen Tübinger Stadtverwaltung. Entlang eines Zeitstrahls werden der Niedergang und die Neugestaltung des Quartiers nachgezeichnet, mit Fakten und auch mit ganz persönlichen Erinnerungen einer Bewohnerin, einer Begleiterin und eines Stadtplaners. Textkapitel vertiefen die Themen soziale Mischung und Architektur, lassen Bewohner und Begleitkreis zu Wort kommen.
3-Höfe-Fest
Am Samstag, 27. September 2014, wird der Abschluss der Sanierungsarbeiten gefeiert: beim „3-Höfe-Fest“ von 15 bis 20.30 Uhr. Es gibt Kinder- und Bühnenprogramm, vielerlei Leckereien zum Essen und Trinken, eine Ausstellung, Infostände und Musik. Gesucht wird außerdem ein neuer Name für das Quartier. Eingeladen zum Fest sind alle Beteiligten und Anwohner, die Nachbarschaft und auch alle interessierten Tübingerinnen und Tübinger.
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen