Sanierung der Rathausfassade ist abgeschlossen
Pressemitteilung vom 15.07.2016
Das Gerüst am Tübinger Rathaus wurde abgebaut – jetzt ist der Blick frei auf die restaurierte Rathausfassade, an der etliche Details zum Vorschein treten, die im Lauf der Jahre verblasst oder beschädigt waren. „Das Rathaus ist das Herzstück der Demokratie in Tübingen. Nach der in allen Teilen gelungenen Sanierung übergeben wir einen mehr als 500 Jahre alten Schatz in respektablem Zustand an die künftigen Generationen“, sagt Oberbürgermeister Boris Palmer. Ein Team von bis zu elf Restauratorinnen und Restauratoren hatte in den vergangenen 16 Wochen die Fassade behutsam gereinigt, Schäden ausgebessert und, wo nötig, in Abstimmung mit dem Denkmalamt ergänzt. Ziel war es, weitere Schäden abzuwenden und dabei dem Originalzustand der Fassadenmalerei von 1876 möglichst nahe zu kommen.
Im Putz haben die Experten Risse und Hohlräume aufgefüllt. Ein Teil dieser Schäden war durch eine Senkung des Gebäudes in den vergangenen Jahren entstanden. Bis zum Beginn der Rathaus-Sanierung im Jahr 2012 befanden sich die Akten, Bücher und historisches Schriftgut des Stadtarchivs auf dem Dachboden. Im Lauf der Zeit war die Belastung auf das Vierfache dessen angestiegen, was die Statik des Gebäudes problemlos hätte aufnehmen können. Als Folge hatte sich die Fassade an einigen Stellen nach vorne gewölbt, und der Putz drohte abzuplatzen.
„Diese Gefahr konnten wir abwenden, indem wir an den beschädigten Stellen einen speziellen Mörtel in den Putz injiziert haben“, erklärt der Restaurator Martin Holzinger, der die Arbeiten gemeinsam mit seiner Frau Anja Brodbeck-Holzinger leitete. Bis zu fünf Zentimeter tief waren die Hohlräume, die es zu füllen galt. Rund 1.000 winzige Löcher waren nötig, um mit Spritze und Kanüle rund 60 Liter des Injektionsmörtels einzubringen. „Der Spezialmörtel füllt die Hohlräume, härtet aus und schafft eine dauerhafte Verbindung zwischen den gelösten Putzteilen und dem Untergrund“, so Holzinger. Großen Wert legten die Restauratoren auf die anschließende sorgfältige Rekonstruktion der Bemalung, für die sie ausschließlich Mineralfarben verwendeten.
Auch die Holzarbeiten an der Fassade mussten restauriert und konserviert werden. Dazu zählen die Gesimse, die Kanzel vor dem Ratssaal im ersten Stock und einige Holzschnitzereien. Alle diese Teile wurden mehrfach mit Leinöl getränkt und neu gestrichen. Einer geflügelten Figur im Uhrengiebel fehlten die Nase und ein Teil der Lippen. Diese galt es, in Abstimmung mit dem Denkmalamt zu ergänzen und anschließend mit einer Bemalung zu versehen, die sich an den übrigen Schnitzereien orientiert. Einige Hölzer waren ursprünglich vergoldet und sind es jetzt auch wieder, so zum Beispiel der kugelförmige Dachabschluss der Kanzel.
Blattgold mit 23,75 Karat bedeckt jetzt auch wieder Teile der kunstvoll geschmiedeten Umfassung der alten Feuerglocke im Dachreiter. „Die hauchdünnen Blättchen der Vergoldung sind ungefähr 1/4.500 Millimeter stark – unvorstellbar dünn“, erklärt der Restaurator. Insgesamt 900 Blätter davon wurden verbraucht. Nebeneinander gelegt, entspricht das einer Fläche von fast sechs Quadratmetern. Vor dem Goldauftrag wurden alle schmiedeeisernen Elemente der Fassade mit Skalpell und Stahlwolle vom Rost befreit. Dazu zählen die Turmzier, der Kandelaber zwischen dem zweiten und dritten Obergeschoss und die Träger der Wasserspeier im Ziergiebel. Die Eisenteile wurden anschließend mit einem speziellen Öl eingelassen und zweimal mit einer besonderen Rostschutzfarbe gestrichen.
Die drei Zifferblätter der astronomischen Uhr sind jetzt wieder gut lesbar, der Drachenzeiger mit seinen goldenen Flügeln wurde repariert und nach vorliegenden Fotos frisch bemalt.
Für Martin Holzinger ist es nach Göppingen und Metzingen das dritte historische Rathaus, an dem er mit seinem Team für die Substanzerhaltung sorgt. „Das Tübinger Rathaus ist einmalig“, schwärmt er. Was ihm daran besonders gefällt? „Es ist schön, wenn man dem Bürgerstolz wieder zur Geltung verhelfen kann. Das hier ist kein Adelspalast, vielmehr hat sich der Bürgersinn in diesem einmaligen Denkmal verwirklicht.“ Beeindruckt ist Holzinger von der sehr hohen künstlerischen Qualität der Malerei von Ludwig Lesker. „Ein solch großes, qualitativ hochwertiges Sgraffitto ist absolut einmalig – das kenne ich sonst nirgends“, so Holzinger.
Die Restaurierung der Fassade kostet rund 500.000 Euro und bildet den vorläufigen Schlusspunkt der fast vierjährigen Sanierung des Gebäudes. Was zunächst bleibt, ist das Gerüst an der Rückseite am Eingang Haaggasse. Der Grund: Der Dachreiter aus Holz auf dem Rathausdach ist morsch. Diese Schäden waren von unten nicht sichtbar und konnten auch nicht vom Gerüst aus an der Rathausfassade aus behoben werden. In Zusammenarbeit mit einem Holzrestaurator muss die Verwaltung nun auch hierfür ein Sanierungskonzept ausarbeiten.
Öffentliche Führung mit OB Palmer
In welchen Schritten die Sanierung erfolgte und welche Motive zu sehen sind, erläutert Oberbürgermeister Boris Palmer bei einer öffentlichen Vorstellung am Dienstag, 19. Juli 2016, um 16.30 Uhr auf dem Marktplatz.
Anlage
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Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen