Miteinanderzone ist einen Versuch wert
Pressemitteilung vom 23.05.2019
Eine Delegation der Tübinger Stadtverwaltung und des Gemeinderates hat sich zusammen mit Oberbürgermeister Boris Palmer am Dienstag, 21. Mai 2019, in Aschaffenburg das Konzept der Miteinanderzone erklären lassen und vor Ort besichtigt.
Oberbürgermeister Klaus Herzog (SPD) berichtete den Gästen von einer großen politischen Einigkeit in Aschaffenburg, die Fußgängerzone als Miteinanderzone zu erhalten. Der Erlaubnis zur Durchfahrt der in den 70er Jahren eingerichteten Fußgängerzone und des angrenzenden Stadtparks mit dem Rad war 2012 versuchsweise für ein Jahr erteilt worden und besteht bis heute. Der Leiter der örtlichen Polizeiinspektion, Bruno Bozem, versicherte den Gästen, dass es keine Gefährdung der Fußgänger durch Radfahrer gäbe: „Wir hatten keinen einzigen Unfall mit Personen. Das Risiko geht gegen Null.“
Ausgangspunkt der Miteinanderzone waren Beschwerden über täglich rund 400 unerlaubte Radler in der Fußgängerzone alleine auf der Haupteinkaufsstraße. Als Polizei und Stadtverwaltung im Jahr 2010 versuchten, diese durch intensive Kontrollen und Bußgelder zu unterbinden, entstand eine Gegenbewegung in der Bürgerschaft, die auf ein Miteinander statt massiven Einsatzes gegen die Radfahrer hinwirkten. Dem schloss sich der Stadtrat an und die daraus entstandene Miteinanderzone wurde 2015 mit dem deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet.
Oberbürgermeister Herzog berichtete allerdings, dass die Auseinandersetzung um die Miteinanderzone in jüngster Zeit wieder zugenommen habe. Dies sei auch darauf zurückzuführen, dass die insgesamte Anzahl der Radler, und damit auch die, die zu schnell unterwegs sind, spürbar angestiegen ist. Herzog: „Es ist wie in der Kindererziehung, man muss klare Regeln auch durchsetzen. Laissez-faire führt zu nichts.“ Aus diesem Grund haben Stadt und Polizei jetzt mit Kontrollen der Geschwindigkeit begonnen. Die ersten Verwarnungen wegen deutlicher Überschreitung der Schrittgeschwindigkeit wurden gerade ausgesprochen.
Wichtige Erkenntnis für Oberbürgermeister Palmer und den Leiter der Tübinger Abteilung für Verkehrsrecht: In Aschaffenburg werden Bußgelder für zu schnelles Fahren in der Fußgängerzone allein aufgrund der Einschätzung der Geschwindigkeit durch die Beamten vor Ort verhängt und auch beigetrieben. Dieses Verfahren will Palmer ab sofort auch in der Kornhausstraße zum Einsatz bringen: „Wenn wir die Unvernünftigen am Geldbeutel packen, sollte ein Miteinander mit der großen Zahl der Vernünftigen gut möglich sein“, so Palmer. In der ersten Testphase seit März wurden nur Ermahnungen ausgesprochen. In der nun folgenden Phase bis zu den Sommerferien werden wie in Aschaffenburg 15 Euro Bußgeld fällig.
Der wichtigste Faktor des Erfolges der Miteinanderzone in Aschaffenburg ist eine gute Kommunikation. Darin waren sich alle anwesenden Vertreter aus Politik, Stadtverwaltung und Bürgerschaft einig. Überall in der Fußgängerzone wird mit großen Schildern für Rücksicht geworben, auch am Boden und in der Luft sind Aufkleber und Banner angebracht. An den Eingängen der Miteinanderzone hängen Schilder in der Größe eines Ortsschildes, die Schrittgeschwindigkeit einfordern. Auch daran will sich OB Palmer orientieren: „Die Anregung zur Werbung für ein besseres Miteinander kam auch schon aus der Tübinger Händlerschaft. Wir werden in diesen Tagen das erste Banner aufhängen; weitere sollen folgen.“
Die Frage, inwieweit sich die Verhältnisse von Aschaffenburg auf Tübingen übertragen lassen, bleibt auch nach dem Versuch offen. Die Miteinanderzone in Aschaffenburg hat ein Gefälle von fast vier Prozent. Solche Straßen sind in Tübingen weiterhin tabu. Die Kornhausstraße ist flach und deshalb weniger anfällig für Raser. Mehrere Straßen in der Aschaffenburger Miteinanderzone sind enger als die Kornhausstraße und weisen mehr Gastronomie und Außenbewirtschaftung auf. Die Zahl der illegalen Durchfahrten mit dem Rad war auf der Hauptachse im Jahr 2011 mit rund 400 pro Tag erstaunlich hoch. Der Zuwachs auf 650 Fahrten heute erscheint verträglich. Wie die Vergleichszahlen in Tübingen sind, will die Stadtverwaltung jetzt durch den Einsatz eines Geräts zur Geschwindigkeitsmessung ermitteln. Insgesamt ist das Radverkehrsnetz in Tübingen deutlich besser ausgebaut als in Aschaffenburg. Die Barriere-Wirkung der Altstadt für den Radverkehr als Fußgängerzone kann aufgrund ihrer Ausdehnung und Lage als gleich groß eingestuft werden.
Die Frage, ob die Miteinanderzone in Aschaffenburg auch nach den Kommunalwahlen im Jahr 2020 weiter bestehen werde, beantworteten die Vertreter von CSU, FDP, SPD und Grünen wie auch der Oberbürgermeister positiv. Ein Thema bleibe die gefühlte Unsicherheit, die sich aber nicht in Unfällen begründen lasse. Die Vorteile für die Förderung des Radverkehrs seien demgegenüber deutlich größer. Den Streit über die Rechte der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden ordnete Oberbürgermeister Herzog wie folgt ein: „Wir lassen das Zeitalter der autogerechten Stadt hinter uns. Jetzt müssen die knappen Flächen in den Städten neu verteilt werden. Das führt unvermeidbar zu Konflikten, die sich aber lösen lassen.“
Die Tübinger Delegation trat die Rückfahrt mit vielen praktischen Tipps und der Gewissheit an, dass eine Miteinanderzone möglich ist und auch für die Kornhausstraße erfolgreich gestaltet werden kann.
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen