Abschiebung von Bilal Waqas: OB Boris Palmer bittet Heiko Maas um Hilfe
Pressemitteilung vom 20.01.2020
Im Fall des abgeschobenen Bilal Waqas hat Oberbürgermeister Boris Palmer Bundesaußenminister Heiko Maas um Hilfe gebeten. Unterdessen hat eine Prüfung der Rechtslage durch das städtische Rechtsamt die Auffassung der städtischen Ausländerbehörde bestätigt: Die Stadtverwaltung darf Bilal Waqas keine Aufenthaltsgenehmigung erteilen.
„Herr Waqas hat von der Deutschen Botschaft in Islamabad einen Termin zur Beantragung eines Visums für die Familienzusammenführung erhalten – leider erst in 19 Monaten. Ich habe Heiko Maas darum gebeten, in diesem besonderen Fall eine Ausnahme zu machen, damit Bilal Waqas so schnell wie möglich einen Termin bekommt“, sagt OB Boris Palmer. In seinem Schreiben an den Bundesaußenminister hat Palmer die Situation des so abrupt getrennten Ehepaars Waqas/Zelter geschildert und den Außenminister darum gebeten, die Botschaft in Islamabad über die besonderen Umstände zu unterrichten, die dazu führen, dass die Stadt die eigentlich für 30 Monate geltende Einreisesperre unverzüglich aufgehoben hat.
Nach Medienberichten, wonach eine sofortige Rückholung von Waqas im Ermessen der Stadt liegen soll, hatte Palmer Kontakt zum Verwaltungsgericht in Sigmaringen aufgenommen. „Meine Nachfrage hat ergeben, dass die dem Sprecher des Verwaltungsgerichts zugeschriebenen Zitate aus dem Kontext gerissen und daher falsch sind“, sagte Palmer. „Da dem Gericht die Akten zu dem Fall nicht vorliegen, könne es dazu auch keine Auskunft geben. Eine Rechtsberatung ohne Kenntnis des Sachverhaltes über die Presse stehe dem Gericht nicht zu und sei auch nicht erfolgt. Das Gericht habe die Frage, ob Bilal Waqas die sofortige Wiedereinreise durch ein von der Stadt zu erteilendes Aufenthaltsrecht ermöglicht werden könne, nicht geprüft und dazu auch keinerlei Aussage gemacht“, sagte der OB nach einem Mailwechsel mit dem Gerichtssprecher, der die Berichterstattung im Schwäbischen Tagblatt gegenüber Palmer als „nicht akzeptabel“ bezeichnet hatte.
„Gegenüber den Beschäftigten der Stadt, die nach bestem Wissen und Gewissen schwere Entscheidungen gemäß unseren Gesetzen treffen, ist es eine unzumutbare Belastung, aus der Zeitung zu erfahren, sie hätten ihre Arbeit falsch gemacht, wenn sich nachher herausstellt, dass das ausschließlich die Meinung der Zeitung ist und nicht die des zitierten Gerichtes. Es ist nicht in Ordnung, die Verantwortung den Mitarbeitern in der städtischen Behörde zuzuschieben, wenn sie in Wahrheit beim Gesetzgeber liegt“, kritisiert Palmer. „Die Abschiebung war falsch, aber das liegt an der fehlenden Möglichkeit, in Deutschland aus einem negativ abgeschlossenen Asylverfahren heraus eine Aufenthaltsgenehmigung zu erreichen.“
Palmer sieht die Berichterstattung noch aus einem weiteren Grund kritisch: „Es werden nicht nur in der Öffentlichkeit sondern, auch bei der Familie falsche Hoffnungen geweckt, wenn unter Berufung auf ein Gericht Optionen für die Rückkehr erfunden werden, die es rechtlich nicht gibt.“
In den vergangenen Tagen hat das städtische Rechtsamt die Rechtslage nochmals geprüft und dabei die Auffassung der städtischen Ausländerbehörde voll und ganz bestätigt. Rechtlich verhält es sich demnach wie folgt: Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG (familiäre Gründe) ist nicht möglich. § 10 Abs. 3 AufenthG lässt nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur bei einem Rechtsanspruch oder aus humanitären Gründen zu. Beides trifft im Fall von Bilal Waqas nicht zu:
- Ein Rechtsanspruch muss sich direkt aus dem Gesetz ergeben und darf nicht erst eine Ermessensausübung erforderlich machen. Ein Rechtsanspruch liegt nicht vor, weil auch im Rahmen des § 28 AufenthG die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG zu prüfen sind. Aufgrund der Straftat besteht ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Damit liegt die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (kein Ausweisungsinteresse) nicht vor. Von dieser Erteilungsvoraussetzung kann nur nach Ermessen abgesehen werden (§ 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Damit fehlt es am Rechtsanspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.
- Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen wäre dann möglich gewesen, wenn ein Ausreisehindernis vorgelegen hätte (§ 25 Abs. 5 AufenthG). Die Eheschließung stellt kein derartiges Ausreisehindernis dar. § 25 Abs. 5 AufenthG ist kein Auffangtatbestand für Fälle, in denen jemand für die Antragstellung aus familiären Gründen das Visumsverfahren durchführen muss. Vorliegend wäre § 25 Abs. 5 AufenthG dann in Frage und bei Zustimmung des Regierungspräsidiums auch zur Anwendung gekommen, wenn die Reisefähigkeit nicht vorgelegen hätte. Ein Ausreisehindernis aus medizinischen Gründen lag aber ebenfalls nicht vor. Zwar wurde die Insulinabhängigkeit im Verfahren vorgetragen, doch in dem ärztlichen Attest wurde die Reisefähigkeit bestätigt. Bei der Erkrankung von Bilal Waqas handelt es sich um eine in Pakistan verbreitete Erkrankung, so dass hier eine medizinische Versorgung gewährleistet ist.
Auch die Prüfung der Frage, ob eine Aufenthaltsgenehmigung heute erteilt werden könnte, kommt zu einem negativen Ergebnis:
- Auf das reguläre Visumsverfahren kann nicht verzichtet werden. Nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG kann hiervon abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Auch hier ist es nicht ausreichend, wenn die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung von einer Ermessensausübung abhängt, was hier wie oben dargestellt der Fall ist.
- Besondere Umstände, die das Visumsverfahren unzumutbar machen, sind derzeit nicht ersichtlich. Nach ständiger Rechtsprechung ist insbesondere die zeitweilige Trennung von Eheleuten auch im Hinblick auf Art. 6 GG hinnehmbar. Auch die Erkrankung stellt keine Unzumutbarkeit dar, da Bilal Waqas derzeit gut eingestellt und die medizinische Versorgung im Heimatland gewährleistet ist.
Daraus zieht Boris Palmer folgendes Fazit: „Die Rechtslage in Deutschland ist nach wie vor stark darauf ausgerichtet, Menschen, die keinen Asylanspruch haben und falsche Angaben zur Identität machen, um der Abschiebung zu entgehen, keinen Aufenthalt in Deutschland zu gestatten. Ich halte das grundsätzlich auch für richtig, weil andernfalls das Asylrecht ausgehöhlt würde. Allerdings ist es das Verschulden unseres Staates, in sieben Jahren das eigene Recht nicht vollzogen zu haben. Daher überwiegen für mich insbesondere nach der Eheschließung die Gründe, den Aufenthalt zu genehmigen. Ich bedaure sehr, dass der dafür notwendige Spurwechsel nach wie vor nicht möglich ist. Angesichts dieser Rechtslage ist die Aufhebung der Einreisesperre und die Unterstützung für ein schnelles Visumverfahren alles, was die Stadt tun kann. Ich werde mich persönlich weiterhin dafür einsetzen, auf diesem Weg so gut wie möglich voranzukommen.“
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen