Befragung mit der Bürger App: Verwaltung legt gewichtetes Ergebnis vor
Pressemitteilung vom 25.02.2020
Die Stadtverwaltung hat die Daten aus der Befragung mit der App und die schriftlich eingereichten Stimmen mittlerweile vollständig ausgewertet. Insbesondere wurde das so genannte gewichtete Ergebnis ermittelt.
In Paragraf 11 der vom Gemeinderat beschlossenen Satzung über Befragungen mit der BürgerApp heißt es: „Neben dem unveränderten Ergebnis der Befragung wird ein gewichtetes Ergebnis ermittelt. Dabei wird das Antwortverhalten der einzelnen Altersgruppen und der Zugehö̈rigkeit zu einem Geschlecht ausgewertet und entsprechend ihres Anteils in der Bevölkerung gewichtet.“
Oberbürgermeister Boris Palmer legt Wert darauf, dass die Verwaltung damit einer Verpflichtung folgt, die in der Stadt Gesetzesrang hat: „Es verbietet sich keineswegs, die Stimmen nach Alter und Geschlecht verschieden zu gewichten. Vielmehr ist es nach der geltenden Satzung sogar geboten.“
Der Grund für diese 2017 verabschiedete Regelung war die Sorge des Gemeinderates, jene Gruppen, die bei Wahlen normalerweise häufiger teilnehmen, könnten die Gruppen, die sich weniger beteiligen, überstimmen. Um das zu erkennen und gegebenenfalls darauf reagieren zu können, wurde das gewichtete Ergebnis definiert. Es wird ermittelt, indem die prozentualen Ergebnisse der einzelnen Bevölkerungsgruppen nicht mit der Anzahl der abgegebenen Stimmen, sondern mit der Anzahl der Wahlberechtigten aus dieser Gruppe multipliziert werden. Das gewichtete Ergebnis der Befragung zum Radweg auf der Neckarbrücke sieht wie folgt aus:
1. Soll die Mühlstraße zu Gunsten eines Radwegs auf der Neckarbrücke
für PKW gesperrt werden?
Endgültiges Ergebnis (mit schriftlichen Stimmen) | Gewichtetes Ergebnis (mit schriftlichen Stimmen) | |
Ja, in jedem Fall | 33,6% | 33,4% |
Eher ja | 14,0% | 14,2% |
Eher nein | 8,7% | 8,9% |
Nein, auf keinen Fall | 43,7% | 43,5% |
100,0% | 100,0% |
2. Wenn der Radweg auf der Neckarbrücke kommt:
Welche ergänzenden Maßnahmen sollten ergriffen werden?
Endgültiges Ergebnis (mit schriftlichen Stimmen) | Gewichtetes Ergebnis (mit schriftlichen Stimmen) | |
Mehr Busverkehr zum Österberg | 34,1% | 34,1% |
Sonderregelungen zur Durchfahrt der Mühlstraße für Bewohnerinnen und Bewohner des Österbergs | 34,5% | 35,1% |
Maßnahmen zur Verringerung des PKW-Verkehrs in der Weststadt und in Lustnau | 47,7% | 47,4% |
Keine der Maßnahmen | 23,9% | 24,2% |
3. Wie wichtig ist Ihnen die Fortsetzung einer durchgängigen Radspur
vom Lustnauer Tor zur Neuen Aula?
Endgültiges Ergebnis (mit schriftlichen Stimmen) | Gewichtetes Ergebnis (mit schriftlichen Stimmen) | |
sehr wichtig | 29,3% | 29,2% |
wichtig | 20,7% | 20,6% |
eher unwichtig | 19,0% | 19,1% |
unwichtig | 31,0% | 31,1% |
100,0% | 100,0% |
Die Abweichungen sind insgesamt sehr gering. Das liegt daran, dass zwar die Ergebnisse nach Alter stark auseinander gehen, nicht aber die Beteiligungsquoten. Anders lautende Deutungen beruhen auf einem Missverständnis: In der App selbst ist nicht die Beteiligungsquote angegeben, sondern der Anteil der Stimmen aus der jeweiligen Altersgruppe am Gesamtergebnis. Da diese Gruppen sehr unterschiedlich groß sind, variiert dieser Wert stark. Zum Beispiel bringen die fünf Jahrgänge der 16-20jährigen zusammen nur 7 Prozent der Stimmen, die 15 Jahrgänge der 61 bis 75Jährigen aber 16,5 Prozent. Trotzdem liegt die Wahlbeteiligung in der App ähnlich hoch, nämlich bei 21,2 Prozent der Gruppe 16 bis 20 und 28 Prozent der Gruppe 61 bis 75 Jahre. Die schriftlichen Stimmen kommen noch hinzu, ändern die Verhältnisse aber nur geringfügig.
Anders verhält es sich mit den Antworten auf Frage 1. Diese zeigen eine starke Abhängigkeit vom Alter der Befragten, nicht aber vom Geschlecht. Addiert man die Stimmen aller Befragten zwischen 16 und 60 Jahren, so ergibt sich folgende Verteilung bei den Antworten:
1. Soll die Mühlstraße zu Gunsten eines Radwegs auf der Neckarbrücke
für PKW gesperrt werden?
16 bis 60 Jahre | 61 Jahre und älter | |
Ja, in jedem Fall | 35,8% | 27,3% |
Eher ja | 15,3% | 9,7% |
Eher nein | 9,0% | 8,5% |
Nein, auf keinen Fall | 39,9% | 54,5% |
100,0% | 100,0% |
2. Wenn der Radweg auf der Neckarbrücke kommt:
Welche ergänzenden Maßnahmen sollten ergriffen werden?
16 bis 60 Jahre | 61 Jahre und älter | |
Mehr Busverkehr zum Österberg | 35,0% | 30,4% |
Sonderregelungen zur Durchfahrt der Mühlstraße für Bewohnerinnen und Bewohner des Österbergs | 36,7% | 28,6% |
Maßnahmen zur Verringerung des PKW-Verkehrs in der Weststadt und in Lustnau | 48,8% | 43,8% |
Keine der Maßnahmen | 21,9% | 30,7% |
3. Wie wichtig ist Ihnen die Fortsetzung einer durchgängigen Radspur
vom Lustnauer Tor zur Neuen Aula?
16 bis 60 Jahre | 61 Jahre und älter | |
sehr wichtig | 31,5% | 22,0% |
wichtig | 21,5% | 19,2% |
eher unwichtig | 19,0% | 20,4% |
unwichtig | 28,0% | 38,4% |
100,0% | 100,0% |
Die insgesamt knappe Mehrheit gegen den Radweg ergibt sich also aus der starken Ablehnung der Älteren, insbesondere der über 76jährigen. Diese stimmten mit 75 Prozent gegen den Radweg.
Die Ermittlung von Ergebnissen, die nach Alter und Geschlecht differenzieren, ist für Oberbürgermeister Boris Palmer trotz der zwischenzeitlich entstandenen Diskussion in den Leserbriefspalten richtig: „Wir haben ganz bewusst durch eine Satzung alle wesentlichen Fragen vorab geregelt. Der Gemeinderat wollte sich ganz das Recht vorbehalten, anders zu entscheiden als knappe Mehrheiten das erwarten könnten. Ich halte es für falsch, diese Regeln nachträglich umzudeuten. Der Gemeinderat muss die Freiheit haben, aus der Befragung eigene Schlüsse zu ziehen.“
Palmer verweist auf den Paragraf 1 der Satzung zur Durchführung von Befragungen mit der App. Dort heißt es: „Das Ergebnis der Einwohnerbefragung hat im Gegensatz zum Bürgerentscheid nach § 21 Gemeindeordnung keine Bindewirkung für den Gemeinderat. Der Gemeinderat bleibt in seiner Entscheidung frei.“
Für Palmer bleibt es der logische Auftrag aus den Erkenntnissen der Befragung, eine Variante der Verkehrsführung zu entwickeln, die mehr Zustimmung findet als der Status Quo und die abgefragte Lösung. Dafür gibt es ein historisches Vorbild: Als der Bürgerentscheid zur Öffnung der Mühlstraße in beiden Fahrtrichtungen 1993 eine Mehrheit von 55 Prozent für den Autoverkehr ergab, für eine Verbindlichkeit aber 70 Stimmen fehlten, folgten Rat und Oberbürgermeister nicht einfach dieser rechtlich und zahlenmäßig sehr viel klareren Mehrheit. Sie entschieden sich für den Kompromiss, die Mühlstraße in einer Richtung zu sperren und in einer Richtung zu öffnen. Palmer: „Ich bin zuversichtlich, dass sich auch heute wieder ein Kompromiss finden lässt, der funktioniert.“
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen