Objekt des Monats im Stadtmuseum: Drei Exlibris aus der Sammlung der Provenienzforschung
Pressemitteilung vom 01.04.2020
Jeden Monat zeigt das Stadtmuseum einen besonderen Gegenstand aus seiner Sammlung. Da das Museum aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen ist, steht das Objekt des Monats im April in der Außenvitrine rechts neben dem Eingang. Zu sehen sind drei Exlibris aus der Sammlung der Provenienzforschung. Die Provenienzforschung befasst sich mit der Herkunft von Kunstwerken und Kulturgütern. Im Mittelpunkt steht dabei die Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Exlibris ist lateinisch und bedeutet „aus den Büchern“. Exlibris sind kleinformatige Druckgrafiken oder Stempel. Sie kleben als Besitzervermerke in Büchern. Ein Exlibris besteht meist aus dem Namen des Besitzers, einem Monogramm – ein reich verzierter Einzelbuchstabe – oder Wappen und ist mit einem Bild geschmückt. Exlibris haben eine besondere Bedeutung für die Provenienzforschung, weil sie helfen, die früheren Besitzer ausfindig zu machen und mögliche NS-Raubkunst zu identifizieren. Wenn dieser Verdacht besteht, wird das Objekt auf die Plattform www.lostart.de gestellt. Diese drei Exlibris sind zu sehen:
Von Berlin nach Tübingen
In einem Buch des Arztes, Schriftstellers und Dichters Justinus Kerner verweist das Exlibris auf „Richardi M. Meyer“ als Vorbesitzer. Richard Moritz Meyer (1860-1914) wurde als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Bankiers in Berlin geboren. Der Germanistik-Professor führte zusammen mit seiner Frau Estella in seinem Stadtpalais in der Voßstraße in Berlin einen literarischen Salon. Im Nationalsozialismus waren sie gezwungen, ihre Villa zu verkaufen, da auf dem Grundstück die Neue Reichskanzlei Hitlers entstehen sollte. Die Familie konnte nur wenige Einrichtungsgegenstände mitnehmen und wurde vermutlich 1942 Opfer der NS-Euthanasie. Die genauen Todesumstände sind unbekannt. Die Provenienzforschung hat ergeben, dass man einen unrechtgemäßen Erwerb des Buches nicht ausschließen kann. Die Exlibris kursieren mit und ohne Buch in weiteren Bibliotheken, unter anderem in Berlin und Freiburg. Das Tübinger Stadtmuseum erwarb das Buch 1987 über den antiquarischen Buchhandel.
Berühmter Vater
Das zweite Exlibris befindet sich in einem Liederbuch mit schwäbischen Volksliedern. Es verweist auf den prominenten jüdisch-deutschen Schriftsteller Berthold Auerbach (1812-1882). Auerbach, der ursprünglich Moses Baruch Auerbacher hieß, signierte das Vorsatzblatt handschriftlich. Danach ging das Buch wohl in den Besitz seines Sohnes Eugen Berthold Auerbach (1852-1922) über: Er klebte sein Exlibris, das ein Medaillon seines Vaters zeigt, ins Buch. Eugen Berthold Auerbach war Rechtsanwalt und Notar mit eigener Rechtsanwaltskanzlei in Berlin. Seine Söhne Peter (1892-1941) und Kurt (1893-1941) wurden von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet. Die Provenienzforschung stuft den Besitz als kritisch ein.
Ausgekratzter Besitzervermerk
Das dritte Exlibris befindet sich in einer vierbändigen Gesamtausgabe von Werken Ottilie Wildermuths aus dem Jahr 1862. In jedem Vordeckel befindet sich in der Innenseite ein Exlibris, das auf einen privaten Vorbesitzer verweist. Das Motiv zeigt eine am Meer stehende Person, die in den Sonnenuntergang schaut, versehen mit der Überschrift „Panta rhei“ („alles fließt“), der Besitzervermerk hingegen ist ausgekratzt. Das Kürzel „MIG“ am unteren rechten Seitenrand ist eine Signatur des Künstlers des Exlibris, Max Joseph Gradl (1873-1934). Er designte im Jugendstil und fertigte nur wenige Exlibris, von denen die meisten nicht einmal bekannt sind. Ein Stempel im Buch verweist auf das Städtische Kulturamt Handbücherei Tübingen als ehemaligen Besitzer. Die Handbücherei gibt die Bücher später als ausgeschieden an und kann somit keine weiteren Hinweise mehr liefern. Die Provenzienzforschung kann einen unrechtmäßigen Erwerb der Bücher nicht ausschließen.
Hinweis für die Medien
Bildmaterial finden Sie unter www.tuebingen.de/pressebilder-stadtmuseum.
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen