Gemeinsamer Austausch über Perspektiven für das Tübinger Stadtarchiv
Pressemitteilung vom 20.05.2020
Auf Einladung von Oberbürgermeister Boris Palmer sind Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Archive im Städtetag Baden-Württemberg vor Ausbruch der Corona-Pandemie für ein Gespräch nach Tübingen gekommen. Professor Roland Müller und Professor Ulrich Nieß hatten sich zuvor in einem offenen Brief zu den Plänen der Stadtverwaltung Tübingen geäußert, Teile der Archivalien zu einem Scan-on-Demand-Dienstleister auszulagern.
OB Boris Palmer und Kulturbürgermeisterin Dr. Daniela Harsch war daran gelegen, die Meinung der Fachleute zum Thema zu hören. Roland Müller und Ulrich Nieß nahmen das Gesprächsangebot gerne an und zeigten sich erfreut über das Interesse an einem fachlichen Austausch. Professor Roland Müller ist der Leiter des Stadtarchivs in Stuttgart, Professor Nieß leitet das Stadtarchiv in Mannheim. Beide Archive wurden in den vergangenen Jahren in einem denkmalgeschützten Lagergebäude bzw. einem Luftschutzbunker vorbildlich fachgerecht eingerichtet.
Das Tübinger Stadtarchiv ist auf mehrere Standorte verteilt und momentan nicht mehr in der Lage, weiteres Archivgut aufzunehmen. Ursprünglich hatte die Stadtverwaltung den Plan, das Archiv im ehemaligen Güterbahnhof unterzubringen. Dieses Vorhaben zerschlug sich 2019 aus bautechnischen Gründen. Daher war man – auf der Suche nach einer kurzfristigen Lösung für einen kleinen Teil der Akten – auf das Angebot „Scan on Demand“ gekommen. Diese Pläne mussten dann allerdings nicht weiterverfolgt werden, weil inzwischen geeignete Räumlichkeiten in Kirchentellinsfurt gefunden wurden, die von der Stadtverwaltung für eine Übergangszeit angemietet werden.
Boris Palmer blieb bei seiner Überzeugung, dass Akten, die wegen gesetzlicher Vorschriften noch eine gewisse Zeit aufbewahrt werden müssen, aber keine historische Bedeutung haben, durchaus ausgelagert werden können – „zumal eine solche Auslagerung in jedem Fall die bessere und kostengünstiger Variante ist als eine unzureichende Unterbringung in Tübingen“, so der Tübinger Oberbürgermeister. Demgegenüber verwiesen Roland Müller und Ulrich Nieß auf die gesetzliche Bewertungshoheit ihrer Tübinger Archivkolleginnen und -kollegen, die allein über den bleibenden Wert von Akten entscheiden, und auf die durchaus bewährten und evaluierten Modelle anderer Städte bei der zentralen Lagerung ihrer Aktenbestände durch das Kommunalarchiv.
Beide zeigten aber großes Verständnis für die besondere Tübinger Situation, die durch den Wegfall des Güterbahnhofs entstanden ist, und erkannten auch die Schwierigkeit, kurzfristig geeignete Räume zu finden. Sie teilten mit OB Palmer und Bürgermeisterin Harsch die Ansicht, dass sich kommunale Archive in einer Zeit des Umbruchs befinden. Von der analogen Welt mit ihren herkömmlichen Unterlagen aus Papier hin zu einer vollständig digitalen Bearbeitung der Verwaltungsvorgänge ist es allerdings noch ein langer Weg. Dieser Wandel beschäftigt die Archive und damit auch die Arbeitsgemeinschaft der Archive schon seit längerem. Mit den kommunalen Rechenzentren und dem Landesarchiv Baden-Württemberg haben die Arbeitsgemeinschaften der Stadt- und Kreisarchive ein Verfahren für die digitale Langzeitarchivierung im Verbund entwickelt, das auch in Tübingen im Einsatz ist.
Die Archivare betonten, dass Archive neben der Archivierung der kommunalen Akten, die eine gesetzliche Pflichtaufgabe ist, weitere wichtige Aufgaben erfüllen. Sie sind nicht nur das Gedächtnis der Stadtgesellschaft, sondern tragen auch wesentlich zur Identitätsstiftung und Demokratiebildung bei. Als sogenannte „Dritte Orte“, als Räume der Kultur und Begegnung, werden sie zukünftig zusätzliche Funktionen für unterschiedliche Zielgruppen wahrnehmen.
„Das Gespräch ließ in vielen archivpolitischen Themen eine breite Übereinstimmung erkennen und umriss, wohin sich das Tübinger Stadtarchiv in Zukunft weiterentwickeln wird“, so das gemeinsame Fazit. Es bestand Konsens darüber, dass die in den Archiven aufbewahrten Dokumente nicht nur der Stadtgeschichtsforschung dienen, sondern auch der Rechtssicherung. Sie machen das Verwaltungshandeln in Geschichte und Gegenwart transparent und müssen deshalb authentisch, das heißt im Original, überliefert werden.
Die beiden Fachmänner hielten die jetzt gefundene Zwischenlösung in Kirchentellinsfurt für den richtigen Weg. Man war sich einig, dass damit Zeit geschaffen wurde, um eine fundierte Planung für die zukünftige Unterbringung des Tübinger Stadtarchivs zu bewerkstelligen. Weitere Gespräche und ein gegenseitiger Austausch sind vorgesehen.
Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen