Die Universitätsstadt Tübingen trauert um ihren Ehrenbürger Hans Küng
Pressemitteilung vom 06.04.2021
Mit großer Bestürzung hat Oberbürgermeister Boris Palmer die Nachricht vom Tod von Professor Hans Küng aufgenommen. In einer ersten Stellungnahme sagte er:
„In Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans Küng verlieren wir eine der großen geistigen Persönlichkeiten unserer Zeit. Bekannt war er vor allem als Kritiker der Papstkirche und als unermüdlicher Forderer von Reformen in der katholischen Kirche. Mit diesem einseitigen Etikett hatte er jedoch bisweilen Schwierigkeiten: Er selbst sah sich nicht als ‚hauptamtlichen Kirchenrebell und Papstkritiker‘. Er, der Priester und Professor der Theologie, wollte als Forscher, Lehrer und Autor wahrgenommen werden, als jemand, der sich aus Sorge um den Zustand seiner Kirche und um die Nöte und Probleme in der Seelsorge vernehmlich zu Wort meldete. Vor allem dieses pastorale Anliegen ließ ihn, der aus einem reichen Fundus theologischer Studien und Forschungen schöpfen konnte, zu jenem unabhängigen religiösen Denker werden, der mit dem gesprochenen Wort und in zahlreichen Büchern über ein modernes christliches Glaubens-, Gottes- und Kirchenverständnis viele Gläubige über die katholische Kirche hinaus ebenso erreichte wie Angehörige anderer Religionen und dem Religiösen fernstehende Menschen.
In den letzten Jahren galt sein wissenschaftliches und publizistisches Interesse auch und vor allem den Weltreligionen und dem interreligiösen Dialog. Seine wissenschaftliche Arbeit mündete ein in sein Projekt Weltethos: in die Suche nach einem übergreifenden Grundkonsens an Werten, Normen und Regeln menschlichen Zusammenlebens. Mit seiner Stiftung Weltethos, deren Präsident er seit ihrer Gründung 1995 war und deren Leitung er im März 2013 in jüngere Hände gab, kämpfte er für eine Kultur der Toleranz, der Gewaltlosigkeit und der gerechten Wirtschaftsordnung, für Menschenrechte und universelle Werte.
Tübingen – er nannte es einmal die ‚kleine, aber feine Stadt‘, die ihm ‚zur Stadt der glücklichen Fügungen‘ geworden war – verliert viel, im Menschen wie im Wissenschaftler und Schriftsteller Hans Küng. Ihm, dem im schweizerischen Sursee Geborenen, wurden die Universität und die Stadt am Neckar zur zweiten Heimat. Hier fühlte er sich vielen ihrer Bewohner ganz unterschiedlichen Standes verbunden, hier schätzte er die Verbindung von Tradition und Moderne, von Kultur und Natur. 1960 wurde Hans Küng als ordentlicher Professor für Fundamentaltheologie nach Tübingen berufen. Hier sorgte er als junger, fortschrittlicher Professor für Aufsehen und wurde schließlich als Berater zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) berufen. Hier war er Kollege von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt (1966–1969). 1979 allerdings wurde ihm von der deutschen Bischofskonferenz die Lehrbefugnis entzogen. Als fakultätsunabhängiger Forscher und Lehrer wirkte er dennoch weiter: von 1980 bis zu seiner Emeritierung 1996 als Professor für ökumenische Forschung an der Universität Tübingen. Von hier aus hat er mit seinen zahlreichen – und über die Zirkel der Wissenschaft hinaus vielgelesenen – Buchveröffentlichungen als Kritiker, Mahner und Erneuerer im Dienst der Einheit und Versöhnung der Religionen immer wieder für Aufsehen gesorgt.
In Tübingen erlebte Hans Küng nach dem Entzug der Lehrbefugnis seine, wie er selbst sagte, ‚bittersten Wochen‘, aber auch Freundschaft und Solidarität. Die kurzen Wege und die Überschaubarkeit der Stadt, ihre Offenheit gegenüber fremden Menschen und Kulturen machten ihm, dem weltweit vernetzten Wissenschaftler, die interdisziplinäre Zusammenarbeit einfacher. Nicht ohne Grund wurde gerade Tübingen Heimstatt der Stiftung Weltethos. Es ist uns ein Trost, dass er schon zu Lebzeiten dafür gesorgt hat, dass dieses Erbe – die Stiftung Weltethos – in Tübingen verbleibt und weiterwirken kann.
Wie sein Freund und Weggefährte Walter Jens, an dessen Demenzerkrankung viele Menschen Anteil nahmen, sorgte auch Hans Küng in seinem letzten Lebensabschnitt durch sein öffentliches Wort dafür, dass seine persönliche Haltung zum Stimulus für eine öffentliche Diskussion über die Frage des ‚richtigen‘ Sterbens wurde. Er, der in seinen letzten Veröffentlichungen und Interviews freimütig über seine Parkinson-Erkrankung und über das freiwillige Aus-dem-Leben-Scheiden sprach, wollte sich auch in dieser letzten Frage nicht jene Selbstbestimmtheit nehmen lassen, für die er sich, gemeinsam mit Walter Jens, schon früh ausgesprochen hatte (1995: ‚Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung‘).
Im Dezember 2002 hat die Universitätsstadt Tübingen Hans Küng, dem in aller Welt bereits viel und hoch Geehrten und Ausgezeichneten, für seine Verdienste um das Ansehen unserer Stadt für sein über die Grenzen Tübingens ausstrahlendes Wirken als Theologe und für seine Wirkung auf das geistig-kulturelle Klima und Leben Tübingens das Ehrenbürgerrecht verliehen. Heute trauern wir nicht nur um den Gelehrten, sondern auch um den Menschen Hans Küng, den Tübinger Bürger. Er wird seine Ruhestätte an jenem Ort finden, den er sich selbst gewünscht hat: auf dem Stadtfriedhof, dort, wo die großen Toten unserer Stadt begraben sind.“