Josephine Lang und ihre Zeitgenossinnen: Tübingen plant zehntägiges Komponistinnen-Festival
Pressemitteilung vom 18.06.2021
Tübingen widmet der Musik sowie den Lebens- und Schaffensumständen von Komponistinnen ein zehntägiges Musikfestival im Herbst 2023. Denn die musikalischen Werke von Frauen sind in den Programmen des klassischen Konzertbetriebs noch deutlich unterrepräsentiert. Der Schwerpunkt des Komponistinnen-Festivals, das vom 29. September bis zum 8. Oktober 2023 stattfinden soll, liegt im 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen die Tübinger Komponistin Josephine Lang und drei ihrer Zeitgenossinnen: Emilie Mayer, Luise Adolpha le Beau und Ethel Smyth.
„Die Gleichberechtigung hat seit dem 19. Jahrhundert viele Fortschritte gemacht. Doch leider ist es noch immer nicht selbstverständlich, dass die Leistungen von Frauen und Männern die gleiche Wertschätzung erfahren. Das Komponistinnen-Festival soll einen starken Beitrag dafür leisten, diese Vorbehalte auch auf dem Gebiet der klassischen Musik zu überwinden", sagt Dr. Daniela Harsch, Bürgermeisterin für Soziales, Ordnung und Kultur der Universitätsstadt Tübingen. „Und es soll dem Publikum, aber auch den Musikerinnen und Musikern Mut machen, sich auf das Werk dieser bewundernswerten Frauen einzulassen – großartige Musik, die es verdient, ihren festen Platz in den Konzertprogrammen einzunehmen."
Für die Konzeption und Organisation des Komponistinnen-Festivals haben erneut die Akteure zusammengefunden, die bereits beim Bachfest 2018 gemeinsam gewirkt haben: Der städtische Fachbereich Kunst und Kultur, die Eberhard Karls Universität, die Hochschule für Kirchenmusik und das Kantorat der Stiftskirche Tübingen, vertreten durch Kulturmanager und Projektleiter Matthias Ehm, Universitätsmusikdirektor Philipp Amelung, den neuen Rektor der Kirchenmusikhochschule Thomas J. Mandl sowie Stiftskirchenkantor und Kirchenmusikdirektor Ingo Bredenbach. Neu im Team ist die Musikwissenschaftlerin Anna Magdalena Bredenbach, die ihre Expertise im Forschungsbereich „Musik und Gender" einbringt. Sie ist Akademische Rätin an der Universität Erfurt und mit Beiträgen unter anderem an der Informationsplattform „Musik und Gender im Internet" beteiligt.
Durch die Porträtierung von vier Komponistinnen, die im 19. Jahrhundert gelebt und gewirkt haben, lässt sich die für Frauen bedrückende Ausgangssituation zu Beginn des Jahrhunderts darstellen: eine Zeit, in der man es noch als Pflicht ansah, dem weiblichen Genie „die Flügel zu verschneiden" (Karl Heinrich Heydenreich), und Musikerinnen wie Komponistinnen in ihrem Wirken nachhaltig behinderte. „Der zeitliche Schwerpunkt ermöglicht aber auch die Beschreibung eines Aufbruchs am Ende des Jahrhunderts: Immer mehr Frauen und Komponistinnen waren nicht länger bereit, Diskriminierungen hinzunehmen, und machten sich auf, auch auf musikalischem Gebiet Gleichberechtigung einzufordern", erläutert Projektleiter Matthias Ehm. Luise Adolpha le Beau schreibt 1910 in ihren „Lebenserinnerungen einer Komponistin": „Mehr Anerkennung als ich verdiene, habe ich mir niemals gewünscht." Die englische Komponistin Ethel Smyth schließt sich zur gleichen Zeit der Suffragetten-Bewegung an. Zusammen mit Smyth, le Beau sowie Emilie Mayer, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts mit bemerkenswertem Erfolg Sinfonien komponierte, nimmt das Festival die Tübinger Komponistin Josephine Lang in den Fokus.
Josephine Lang wurde 1815 in München geboren, wuchs in einem musikalischen Haushalt auf und begann früh mit der Komposition von Kunstliedern. Felix Mendelssohn wurde auf die Begabung Langs aufmerksam und wollte sie zum Studieren nach Berlin einladen, was jedoch Langs Vater seiner Tochter untersagte. 1842 heiratete Lang den Tübinger Dichter und Rechtsgelehrten Christian Reinhold Köstlin und folgte ihm nach Tübingen. Doch das Glück währte nur kurz: Hohe familiäre Belastungen, die Krankheit und der frühe Tod Köstlins hielten Lang immer wieder vom Komponieren ab. Dennoch hinterließ sie, als sie 1880 in Tübingen starb, ein umfangreiches Werk, darunter über 300 Lieder, von denen die Hälfte bis heute unveröffentlicht ist.
Zu Ehren Josephine Langs soll als ein Höhepunkt des Festivals ein dreitägiger Gesangswettbewerb stattfinden. Insgesamt sind rund 50 Veranstaltungen geplant, hauptsächlich Konzerte mit lokalen und regionalen Musikerinnen, Musikern und Ensembles sowie hochkarätigen Gästen aus dem In- und Ausland. Hinzu kommen künstlerische und wissenschaftliche Begleitveranstaltungen, in denen auch die Frage diskutiert werden soll, wie weit die Emanzipation von Frauen im Musikbetrieb – nicht nur auf dem Gebiet der Komposition – bis heute gekommen ist. Auch in den Konzerten soll der Gegenwart Raum geboten werden: durch die Aufführung von Werken zeitgenössischer Komponistinnen, zusammen mit den Werken Langs, Mayers, le Beaus und Smyths.
In den kommenden Wochen wird das Team des Komponistinnen-Festivals das Programm weiter ausarbeiten und Förder- sowie Sponsoringmittel akquirieren. Das Programm soll spätestens im Frühjahr 2023 auf einer eigenen Internetseite veröffentlicht werden.
www.tuebingen.de/komponistinnen
Weitere Informationen
www.tuebingen.de/ratsdokumente/vorlage/176/2021