Oberbürgermeister Boris Palmer würdigt Hermann Bausinger
Pressemitteilung vom 25.11.2021
Im September noch konnte Professor Hermann Bausinger seinen 95. Geburtstag feiern, nun ist er gestorben. Mit großer Bestürzung hat Oberbürgermeister Boris Palmer diese Nachricht aufgenommen. In einer ersten Würdigung sagte er:
„Mit Hermann Bausinger verlieren nicht nur die Wissenschaft und die Universität Tübingen eine ihrer prägenden Gestalten. Auch die Universitätsstadt Tübingen trauert um eine Persönlichkeit, einen engagierten Zeitgenossen, der sich nie in den Elfenbeinturm des Ludwig-Uhland-Instituts zurückzogen, sondern auf vielfältige Weise zum kulturellen Klima unserer Stadt beigetragen hat.
Hermann Bausinger, gebürtiger Aalener, der selbst in Tübingen Germanistik, Geschichte und Volkskunde studiert hatte, gab dem ehemaligen Institut für Volkskunde, gegründet in der Zeit des Nationalsozialismus, und dem ganzen Fach eine neue Richtung. Als „Vater der Empirischen Kulturwissenschaft“ wandte er sich von einem überkommenen Verständnis von Volkskunde ab und der Gegenwart zu, der Alltagskultur, der – insbesondere regionalen – Kultur- und Sozialgeschichte. Er untersuchte Fragen der Sprache, des Dialekts und der Landeskunde – der „Heimat“ –, war ein profunder Kenner der schwäbischen und der Tübinger Literaturgeschichte, befasste sich mit den Phänomenen der populären Kultur vom Märchen bis zum Comic, machte sich sogar kulturwissenschaftlich fundiert Gedanken über Fußgängerzonen. Forschend und lehrend, in ungezählten Publikationen gab er nicht nur Generationen von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern enorme Impulse. Aufgrund seiner Verdienste vielfach ausgezeichnet und geehrt, mehrte er mit seiner Arbeit nicht nur den Ruf der Tübinger Universität, sondern auch den der Stadt selbst.
Und er wirkte in die Stadt, in die Bürgerschaft hinein. Er war nicht nur ein überaus beliebter Vortragender, dessen Vorträge und Führungen, humorvoll, anschaulich und mit unverkennbar schwäbischer Sprachmelodie, weit über die universitären Zirkel hinaus Anklang bei einer großen Zuhörerschaft fanden. Er nahm stets aufmerksam Anteil am kulturellen Leben in der Stadt – so war er zum Beispiel sehr interessiert an der Bildenden Kunst und gern gesehener Gast bei Vernissagen –, bezog wiederholt Stellung. Hermann Bausinger war insbesondere dem städtischen Fachbereich Kunst und Kultur bei vielen Themen und Projekten ein wertvoller Ratgeber, Gesprächspartner und auch Beiträger – zuletzt etwa beim Literaturpfad. Was ihn in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der Universität auszeichnete, galt auch für diese Begegnungen: Er schöpfte aus dem Fundus seines umfangreichen Wissens, bewegte sich auf der Höhe wissenschaftlicher Methodik und Theorie und blieb doch gleichzeitig immer bodenständig, lokal verwurzelt, in der persönlichen Begegnung zugewandt. Er war, im besten Sinne, ein „Hiesiger“. Bis zuletzt hat Hermann Bausinger, unverändert neugierig, gearbeitet und geschrieben. Im vergangenen Juli nahm er an einer Gesprächsrunde aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Ludwig-Uhland-Instituts teil, Thema war „Dialekt und Sprachvielfalt, Heimat und Beheimatung“, seine Gesprächspartner waren unter anderem Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Landtagspräsidentin Muhterem Aras; und noch vor kurzem ließ er es sich nicht nehmen, die aktuelle Imagekampagne des Landes Baden-Württemberg kritisch-ironisch zu kommentieren. Was er hier und bei anderen Gelegenheiten zu sagen hatte, speiste sich nicht zuletzt auch aus den Erfahrungen seiner jahrzehntelangen Tätigkeit in unserer Stadt und in unserer Region.
Die Universitätsstadt Tübingen trauert nicht nur um den Gelehrten, sondern auch um den Menschen Hermann Bausinger.“