OB Boris Palmer reagiert auf die Weisung des Regierungspräsidiums zur Straßenbeleuchtung
Pressemitteilung vom 20.01.2023
Das Regierungspräsidium Tübingen hat entschieden, dass die Reduktion der nächtlichen Straßenbeleuchtung an Fußgängerüberwegen aufgehoben werden muss. Oberbürgermeister Boris Palmer hält die nun vorliegende Weisung für falsch:
„In keinem Gesetz und keiner Verordnung steht, dass Zebrastreifen auch in tiefer Nacht beleuchtet sein müssen. Die Rechtsaufsicht braucht mehrere Seiten, um diese Pflicht herzuleiten: Gesetze verweisen auf Verordnungen, Verordnungen verweisen auf Ausführungsvorschriften, Ausführungsvorschriften verweisen auf Richtlinien, Richtlinien verweisen auf Empfehlungen und am Ende wird alles zusammen für unabänderlich erklärt. Entscheidungsspielraum: Null. Mit dieser Methode gewinnt die Bürokratie in vielen Rechtsgebieten die Herrschaft über die Parlamente. Bezeichnend ist, dass die Rechtsaufsicht den entscheidenden Baustein zur Herleitung der Beleuchtungspflicht in das Jahr 2013 datiert. Erst die damals erfolgte Vollendung des Vorschriftengestrüpps habe aus der bis dahin geltenden Empfehlung für die durchgängige Beleuchtung eine verbindliche Vorgabe gemacht. Bis 2013 hätte die Stadt also noch eine Entscheidung über die Beleuchtung ihrer Zebrastreifen treffen dürfen, jetzt soll sie auch hier nichts mehr zu sagen haben. Unser Land erstickt regelrecht in diesem immer weiter ausufernden Bürokratismus ohne Augenmaß.“
Kennzeichnend für die Weisung ist aus Palmers Sicht, dass die Wirklichkeit in der Entscheidung keine Rolle spielt: „Das reale Risiko eines nachts um drei Uhr nicht beleuchteten Zebrastreifens in der Zone 30 ist bei null, weil um diese Zeit sowieso niemand extra zu Zebrastreifen geht, um dort zu queren. Wie weltfremd die Entscheidung ist, erkennt man daran, dass die Universitätsstadt Tübingen die Zebrastreifen jederzeit aufheben, also ganz abbauen dürfte. Dagegen könnte in der Zone 30 keine Behörde Einspruch erheben, weil Zebrastreifen in der Zone 30 nach Straßenverkehrsordnung entbehrlich sind. Sie werden aus Sicherheitsgründen nicht benötigt und sind Relikte aus einer Zeit, in der Tempo 50 erlaubt war. Sinnhaft sind sie real nur noch für die Sicherung von Schulwegen, die bekanntlich mitten in der Nacht nicht benutzt werden.“
Im Ergebnis ist die Weisung für Palmer ein Dokument organisierter Verantwortungslosigkeit: „Die Weisung befasst sich mit ihren eigenen Auswirkungen nicht in einer Zeile. Der Text beschränkt sich vollständig auf den eigenen Mikrokosmos der Bürokratie. Die Universitätsstadt Tübingen spart durch die nächtliche Abschaltung der Straßenbeleuchtung zehn Prozent ihres gesamten Strombedarfs ein. Alle anderen Maßnahmen, wie die vom Bund verordnete Abschaltung der Beleuchtung des Rathauses sind dagegen völlig belanglos. In der Weisung des Regierungspräsidiums tauchen die Worte „Energie“, „Krieg gegen die Ukraine“ oder „Gasmangellage“ einfach gar nicht auf. Dass die Stadt aus technischen Gründen die gesamte Straßenbeleuchtung anschalten muss und die Zebrastreifen nicht separat anschalten kann, spielt für die Rechtsaufsicht ebenfalls keine Rolle. Damit spart sich die Rechtsaufsicht die entscheidende Frage, ob der Nutzen der Energieersparnis wichtiger ist als die Vorschrift. Hier wird nach der Devise entschieden: „Vorschrift ist Vorschrift, und wenn die Welt daran zugrunde geht.“
Die Signalwirkung der Weisung ist für Palmer ein Menetekel für den Standort Deutschland und eine Entmutigung aller Bürger, die ernsthaft dazu beitragen, durch Sparsamkeit der Energiekrise entgegen zu treten: „Viele Beschäftigte frieren diesen Winter in Büros, Geschäfte halten ihre Ladentüren geschlossen, die Hallenbäder sind für viele zu kalt. Das alles sind schmerzhafte Einschnitte. Ich wüsste nicht, wie ich diese Einschränkungen den Betroffenen noch erklären sollte, wenn der Staat wirklich relevante Energieeinsparung per Weisung verbietet. Was die Stadt hier erlebt, kennt jeder, der in Deutschland schon einmal einen Bauantrag gestellt oder ein Unternehmen geführt hat: Wir betreiben unfassbaren Aufwand für Vorschriften, die überhaupt nichts mehr bringen, und sich gegenseitig widersprechen. Entscheidungen brauchen Jahre und die Ergebnisse bleiben unverständlich. Insofern zeigt die Weisung der Rechtsaufsicht in einem Brennglas, wie die Bürokratie unser Land von der Zukunft abschneidet.“
Mit rechtlichen Mitteln will Palmer nicht gegen die Weisung der Rechtsaufsicht vorgehen. „An den entscheidenden Stellen fehlt der Weisung zwar die Begründung, so dass sie auch rechtlich angreifbar ist, aber diese Fragen sollten nicht Gerichte klären. Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Ohne einen Ermessensspielraum für die Entscheider vor Ort wird die Bürokratie zur einer alles erwürgenden Python. Das Licht machen wir in Tübingen jetzt wieder an. Die Parlamente müssen dafür sorgen, dass in Deutschland nicht ein Bürokrat als Letzter das Licht ausmacht“, sagt Palmer.