Musikalische Entdeckungen: Programm des Tübinger Komponistinnen-Fests veröffentlicht
Pressemitteilung vom 24.04.2023
Die Universitätsstadt Tübingen veranstaltet vom 29. September bis zum 8. Oktober 2023 ein Musikfest, das Komponistinnen in den Mittelpunkt stellt. Geplant sind rund 50 Veranstaltungen – viele Konzerte, aber auch Vorträge, Filmvorführungen und eine Ausstellung sowie ein Liedwettbewerb zu Ehren der Tübinger Komponistin Josephine Lang. Als Schirmfrau konnte Muhterem Aras MdL gewonnen werden, die Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg. Das Programm liegt als Broschüre unter anderem im Rathaus am Markt und in Kartenvorverkaufsstellen aus und ist unter www.tuebingen.de/komponistinnen abrufbar. Karten für die Veranstaltungen gibt es ab sofort unter www.tuebingen-kultur.reservix.de und bei allen Reservix-Vorverkaufsstellen.
Kooperationen und finanzielle Unterstützung
„Die Zusammenarbeit mit der Eberhard Karls Universität, der Hochschule für Kirchenmusik und der Stiftskirchengemeinde, die schon das Bachfest 2018 zum Erfolg geführt hat, setzt erneut in beeindruckender Weise musikalische Impulse“, sagt Kulturbürgermeisterin Dr. Daniela Harsch. Für das Komponistinnen-Fest konnten zudem neue Kooperationspartner_innen hinzugewonnen werden wie das Tübinger Bildungszentrum und Archiv für Frauengeschichte in Baden-Württemberg, das Archiv Frau und Musik in Frankfurt am Main und der Verein musica femina münchen. Harsch dankte auch für das Engagement der Geldgeber_innen, darunter die Baden-Württemberg Stiftung, die Wüstenrot-Stiftung, die Kreissparkasse Tübingen und die Stadtwerke Tübingen GmbH.
Die Veranstaltungen des Festivals stellen viele Komponistinnen vor, deren Biografien eng mit der Musikgeschichte und Gegenwart Baden-Württembergs verbunden sind. „Künstlerischen Reichtum pflegen, kulturelles Erbe bewahren und Kreativität fördern: Diese Ziele der Baden-Württemberg Stiftung verwirklicht das Tübinger Musikfest auf unterschiedliche Weise, weshalb wir es gerne fördern“, sagt ihr Geschäftsführer Christoph Dahl.
Nachholbedarf für Komponistinnen
„Die jahrhundertelange Benachteiligung von Frauen in Gesellschaft und Musikbetrieb wirkt bis heute nach: In den Programmen des klassischen Konzertbetriebs sind Werke von Frauen nach wie vor unterrepräsentiert“, erläutert die Musikwissenschaftlerin Dr. Anna Magdalena Bredenbach (Universität Erfurt), die als Dramaturgin und wissenschaftliche Beraterin das Programm wesentlich mitgestaltet hat. „Dass Werke von Frauen auch heutzutage kaum gespielt werden, ist angesichts der Vielzahl von hervorragenden Komponistinnen und großartigen Werken nicht zu rechtfertigen.“ Der enorme Nachholbedarf zeige sich auch bei den Musiker_innen des Festivals: „Von der Möglichkeit, die Kompositionen von Frauen mit Werken männlicher Komponisten zu kombinieren, hat fast niemand Gebrauch gemacht. Die Begeisterung über die Komponistinnen und ihre Werke hat viele bewogen, ausschließlich Musik von Frauen zu spielen, auch wenn das gar keine Bedingung war.“
Im Zentrum: Josephine Lang und ihre Zeitgenossinnen
Ausgangspunkt der Programmgestaltung waren die Lebensdaten und gesellschaftliche Situation der Tübinger Komponistin Josephine Lang (1815-1880), im Mittelpunkt stehen Komponistinnen des 19. Jahrhunderts. Die erste Hälfte des Festivals ist Josephine Lang und Emilie Mayer (1812-1883) gewidmet, die zweite Hälfte Luise Adolpha Le Beau (1850-1927) und Ethel Smyth (1858-1944). Ihre Werke werden mit Kompositionen weiterer Zeitgenossinnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowie des 21. Jahrhunderts kombiniert. „So bauen wir thematische Brücken in die Gegenwart und werden auch die Frage diskutieren, wie weit die Gleichstellung von Frauen im Musikbetrieb bis heute gekommen ist“, erläutert Dr. Anna Magdalena Bredenbach.
„Das Komponistinnen-Fest bietet unzählige musikalische Entdeckungen“, schwärmt Projektleiter Matthias Ehm vom städtischen Fachbereich Kunst und Kultur: „Wenn Sie Kunstlieder lieben, werden Sie von Josephine Lang begeistert sein. Luise Adolpha Le Beau schafft es immer wieder, mit ihren Werken richtige ‚Ohrwürmer‘ zu produzieren. Ethel Smyth überrascht durch die große Originalität ihrer Kompositionen. Und Emilie Mayers Kammermusik und Sinfonien sind schlicht mitreißend!“ Davon zeugten viele Neueinspielungen von Werken Mayers in jüngster Zeit. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass das Publikum diese Begeisterung für die Komponistinnen teilen wird“, so Ehm.
Erst- und Uraufführungen von international gefeierten und lokalen Künstler_innen
Zu erleben sind viele Tübinger Erstaufführungen und einige Uraufführungen. Die estnische Komponistin Mari Vihmand (geboren 1967) schuf im Auftrag des Festivals ein Orchesterwerk, das von Josephine Langs Lied „Herz, mein Herz“ op. 28,2 inspiriert ist. Es erlebt seine Uraufführung im Eröffnungskonzert am 29. September mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter der Leitung der Dirigentin Ariane Matiakh. Auch von Josephine Lang selbst gibt es eine Uraufführung: Der Lang-Forscher Prof. Harald Krebs (University of Victoria, Kanada) und Kirchenmusikdirektor Prof. Dr. Ingo Bredenbach haben aus mehreren ihrer Manuskripten ein „Cyrie“ für gemischten Chor a cappella rekonstruiert, das erstmals am 30. September im Rahmen der Tübinger Motette erklingt.
Zu den weiteren Höhepunkten des Festivals gehören unter anderem das Gastspiel der international gefeierten Cellistin Raphaela Gromes mit ihrem Partner, dem Pianisten Julian Riem. Ihr erst kürzlich veröffentlichtes Album „Femmes“ erreichte die Spitzen der deutschen Klassik-Charts. Das mit einem Opus-Klassik-Preis ausgezeichnete Trio Parnassus mit der Tübinger Violinistin Julia Galić widmet sich Klaviertrios von Clara Schumann, Ethel Smyth und Luise Adolpha Le Beau. Und das vielfach preisgekrönte Adelphi Quartet spielt im Rahmen des Tübinger Komponistinnen-Fests erstmalig mit dem SWR-„New Talent“ Lionel Martin zusammen und präsentiert spätromantische Streichquintette.
Auch Tübinger Musikerinnen und Musiker beteiligen sich am Festival. Im Abschlusskonzert am Samstag, 7. Oktober, treten die Johanneskantorei, der Chor Semiseria und der Südwestdeutsche Kammerchor Tübingen gemeinsam auf und singen zwei Sätze aus Ethel Smyth monumentaler „Mass in D“. Im gleichen Konzert sorgt der BachChor Tübingen zusammen mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter der Leitung von Annedore Neufeld für die Tübinger Erstaufführung von Le Beaus Oratorium „Ruth. Biblische Szenen“ op. 27.
Wissenschaftliche Einordnung
Ein internationales Symposium am Musikwissenschaftlichen Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen mit öffentlichen Vorträgen begleitet das Festival. Die Leitung haben Prof. Dr. Christina Richter-Ibáñez (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main) und Dr. Anna Magdalena Bredenbach. „Für das kulturelle Handeln von Frauen in der Musikgeschichte spielen Beziehungen und Netzwerke eine zentrale Rolle, und diesen wollen wir nachgehen“, erklärt Richter-Ibáñez. Die Referent_innen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Großbritannien und Kanada diskutieren vom 2. bis zum 4. Oktober im interdisziplinären Dialog unterschiedliche methodische und theoretische Zugriffe auf das Feld der Netzwerk- und Beziehungsforschung.
Premiere für den Josephine Lang-Wettbewerb für Lied-Duo
Im Zentrum des Festivals steht das Finale des 1. Josephine Lang-Wettbewerbs für Lied-Duo. Sänger_innen und Pianist_innen wetteifern hierbei um die besten Interpretationen der Lieder Josephine Langs und ihrer Zeitgenossinnen. Eine prominent besetzte Jury unter der Leitung der Sängerin Sibylla Rubens entscheidet über Preisgelder und Konzerthonorare im Gesamtwert von 30.000 Euro. Auch das Publikum darf mitbestimmen und wählt in der Finalrunde des Wettbewerbs am 3. Oktober einen eigenen Publikumspreis. Zu den weiteren Jury-Mitgliedern gehören die Sänger_innen Anke Vondung, Christian Elsner und Tobias Berndt, die Lied-Pianistinnen Barbara Baun und Karola Theill sowie der Dirigent, Komponist und Rektor der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Tübingen Prof. Thomas J. Mandl.
„Der Wettbewerb soll Lied-Duos dazu anregen, die Lieder Langs und anderer Komponistinnen kennenzulernen und dauerhaft in ihr Repertoire aufzunehmen. Die musikalischen Schätze sollen auf diese Weise nachhaltig Verbreitung finden“, sagt Sibylla Rubens, die selbst eine erfahrene und geschätzte Lied-Interpretin ist. Liedwettbewerb-Projektleiterin Daniela Debus ergänzt: „Bereits jetzt zeichnet sich ein breites Interesse ab. Uns erreichen Anfragen aus dem In- und Ausland.“
Vorfreude mit Musik, Literatur und Film
Bis zum Beginn des Festivals kann das Publikum Kostproben zum Thema Komponistinnen genießen: In den kommenden Monaten stehen sechs Veranstaltungen der samstäglichen Tübinger Motette in der Stiftskirche unter dem Motto „Auf dem Weg zum Komponistinnen-Fest“. Das Tübinger Bildungszentrum und Archiv für Frauengeschichte serviert „FeminisTisch“ Ethel Smyths „March of the women“ und weitere musikalisch-literarische Häppchen der Komponistin, Dirigentin, Schriftstellerin und Suffragette. Außerdem entstehen unter Federführung von Universitätsmusikdirektor Philipp Amelung Kurzfilme zu den Komponistinnen, die bis zum Festival im Internet veröffentlicht werden.
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