Neue Straße 2: Bruns, Bunsen und Himmel
Station im Stadtrundgang: Wissenschaftsstadt Tübingen
Technologiezentrum in der Neuen Straße
Im 19. Jahrhundert gehörte das Viertel zwischen Holzmarkt und Lustnauer Tor zur besten Wohngegend Tübingens. Hier standen die vornehmsten Häuser der Stadt, im edlen klassizistischen Stil errichtet nach dem Stadtbrand von 1789. Das freundliche Ambiente hat offenbar den Erfindergeist beflügelt. Die Neue Straße war Tübingens Technologiezentrum im aufkeimenden Industriezeitalter.
Fieberthermometer und Brillen
So befand sich zum Beispiel im Haus Nummer 2 die Werkstatt des Mechanikus Christian Erbe, der allerhand Apparaturen für die Uni ausgetüftelt hat. Hier wurde erstmals die Idee eines modernen Fieberthermometers geboren, das immer den maximal gemessenen Wert anzeigt. Erst durch Schütteln ließ es sich zurückstellen. Die Erfindung geht auf den Tübinger Internisten Karl Ehrle (1843-1917) zurück, der dieses Verhalten bei einem fehlerhaft produzierten Thermometer beobachtet hatte und sofort den Nutzen dieser Eigenschaft erkannte. Bei Erbe wurden auch in Deutschland die ersten Brillen gefertigt, deren Stärke in Dioptrien gemessen wurde. Erbes Werkstatt wurde zum Stammhaus der Medizintechnik Erbe GmbH, die heute auf dem internationalen Markt erfolgreich ist.
Bunsenbrenner
Ab 1880 arbeitete gegenüber in Haus Nummer 3 der Universitätsmechanikus Edmund Bühler. Zusammen mit Professor Robert Bunsen (1811-1899) entwickelte er den Bunsenbrenner. Die Werkstatt des erfinderischen Universitätsmechanikus wurde zum Stammhaus der heute international erfolgreichen Edmund Bühler GmbH.
Watte
In der Nummer 5, der Trappschen Apotheke, stand in den 1860er Jahren die „Wiege der Watte“. Hier hat der Apotheker Johannes Schmid, zusammen mit dem Chirurgen Viktor von Bruns (1812-1883), die sogenannten Bruns'sche Watte entwickelt. Der hygienische und saugfähige Verband diente zum Versorgen von Wunden und fand seinen ersten massenhaften Einsatz im Krieg von 1870/71.
Beleuchtungsanlagen
Bruns pflegte auch Beziehungen zu einem anderen Bewohner des modernen Stadtviertels: Gottlob Himmel, der seine Werkstatt in der Pfleghofstraße 5 betrieb. Der berühmte Chirurg hatte bei einem Kongress in Wien den Auerschen Glühstrumpf gesehen. Mit dem neuen Gaslicht ließen sich Operationssäle taghell erleuchten – eine grandiose Neuerung, wenn man bedenkt, dass bis dahin im trüben Funzellicht operiert werden musste. Der Tüftler Himmel fand eine Lösung für die Tübinger Klinik; seine Konstruktion reifte allmählich zur Serienfertigung – und aus dem Handwerksmeister wurde so um die Jahrhundertwende der Unternehmer, dessen Beleuchtungsanlagen in ganz Deutschland Absatz fanden.
Ferngesteuerte Straßenlaternen
Nach der Einführung des Auer-Lichtes in Innenräumen wandte sich Himmel der Verbesserung der Straßenlaternen zu. Hierbei erwarb er sich besondere Verdienste bei der Einführung der Fernzündung. Mittels einer Druckwelle in den Gasleitungen konnten alle Laternen im gesamten Stadtgebiet ferngesteuert an- und ausgeschaltet werden. Das mühselige Herumlaufen des Nachtwächters gehörte damit endgültig der Vergangenheit an – sicherlich war das eine erhebliche Kosteneinsparung für alle Kommunen. Aus diesem Grund stellte die Stadt Tübingen gerne ihr Leitungsnetz für derartige Experimente Himmels zur Verfügung, als dieser seine Erfindung vor der Markteinführung testen wollte.