Modegeschäft der Familien Oppenheim und Schäfer
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Ecke Holzmarkt/Neue Strasse
Stele Nr. 4
Ein Beispiel für „Arisierung“
Das Bekleidungsgeschäft Ecke Am Holzmarkt/Neue Straße war in den 1920er Jahren das größte Modehaus Tübingens: Eduard Degginger Nachfolger. Die jüdischen Kaufleute Jakob Oppenheim und Albert Schäfer hatten es 1905 als kleinen Laden in der Neuen Straße 16 erworben und 1913 in das Eckhaus am Holzmarkt verlegt. 1939 wurden sie gezwungen, das Geschäft zu verkaufen: ein Beispiel für die nationalsozialistische Politik der „Arisierung“.
Jakob Oppenheim und Albert Schäfer bauten das Haus am Holzmarkt, das weiterhin unter dem bisherigen Namen „Eduard Degginger Nachfolger“ firmierte, zu einem modernen Geschäftshaus mit großen Schaufenstern um. Die Tübingerinnen kauften hier die neueste Mode. Das Geschäft florierte.
Kunden durften den Laden nicht mehr betreten
Am 1. April 1933, beim reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte, hinderten SA-Posten die Kundschaft daran, den Laden zu betreten. „Meine Eltern kamen am Abend weinend nach Hause“, erinnerte sich die Tochter von Albert Schäfer, Liselotte, „aber sie dachten, das geht vorüber.“ Die nationalsozialistische Politik zielte auf die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft. Jüdische Bürger mussten bis Ende 1938 ihre Geschäfte und Firmen an „Arier“,das heißt Nichtjuden, verkaufen – in der Regel weit unter Wert. Der Käufer des Modehauses „Eduard Degginger Nachfolger“ war Karl Haidt, ein NSDAP-Gemeinderat.
Im Entschädigungsverfahren in den 1950er Jahren war es zu einem Vergleich mit den Töchtern der früheren Eigentümer gekommen. Das Modehaus Haidt existierte noch bis 2007. Noch zwei weitere jüdische Familien, die hier Textilgeschäfte betrieben, verloren ihre Existenz und mussten emigrieren. Das Geschäft Herrenbekleidung Leopold Hirsch in der Kronengasse 6 wurde 1938 „arisiert“, das kleinere Textilgeschäft von Gustav Lion in der Neckargasse 4 musste Ende 1933 aufgrund des Kaufboykotts schließen.
Bild 1 (oben)
Das Modehaus „Eduard Degginger Nachfolger“ (Eduard Degginger war der Vorbesitzer) in den 1920er Jahren. Foto: Stadtarchiv Tübingen
Bild 2
Selma und Albert Schäfer mit ihren Töchtern Hertha und Liselotte im Jahr 1929. Albert Schäfer starb 1941 an den Folgen seiner 1938 erlittenen KZ-Haft, Selma Schäfer wurde 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet. Die Töchter Hertha und Liselotte waren schon früher in die USA und ins damalige Palästina geflüchtet. Foto: Geschichtswerkstatt Tübingen e.V.
Bild 3
Jakob Oppenheim im Jahr 1940 kurz vor der Flucht in die USA. Jakob und Karoline Oppenheim waren die letzten Juden, die 1940 aus Tübingen fliehen konnten. Sie zogen zu ihren Kindern, die schon früher in die USA emigriert waren. Foto: Katzmann Verlag Tübingen
Bild 4
Anzeige in der „Tübinger Chronik“, 26. September 1930. Bild: Stadtarchiv Tübingen/Tübinger Chronik