Wissenschaft und Verbrechen im Nationalsozialismus
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Schloss Hohentübingen
Stele Nr. 6
Auf dem Tübinger Schloss befanden sich mehrere für die NS-Ideologie bedeutsame Institute der Universität. Sie unterstützten die Rassenpolitik des Regimes. Einige Wissenschaftler beteiligten sich direkt an nationalsozialistischen Verbrechen.
Neue Institute wurden gegründet
Der Germanist Gustav Bebermeyer (1890–1975) war Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und wurde 1933 zum Leiter des neugegründeten Instituts für Deutsche Volkskunde. Zugleich organisierte er die „Gleichschaltung“ der universitären Gremien.
Eine andere Neugründung war das Rassenkundliche Institut unter der Leitung von Wilhelm Gieseler (1900–1976), Mitglied der NSDAP und der SS. Das Institut fertigte Abstammungsgutachten an, die die Betroffenen als „Arier“, „Juden“, „jüdische Mischlinge“, „Zigeuner“ oder „Zigeunermischlinge“ einstuften. Damit waren diese der Entrechtung und Verfolgung ausgesetzt. Der Institutsmitarbeiter Hans Fleischhacker (1912–1992) wählte 1943 im Auftrag der SS im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz jüdische Häftlinge aus, von denen 86 gezielt für eine Skelettsammlung der Reichsuniversität Straßburg ermordet wurden.
Auch die bereits vor 1933 gegründeten Institute für Völkerkunde, für Geographie und für Ur- und Frühgeschichte, die ebenfalls ihren Sitz auf dem Schloss hatten, richteten ihre Arbeit zum Teil an der Rassenforschung und an deutschen Gebietsansprüchen aus.
Bild 1
Postkarte mit Blick auf den Nordostturm des Tübinger Schlosses, undatiert. In diesem Turm und den angrenzenden Flügeln war das 1934 eingerichtete Rassenkundliche Institut untergebracht. Die handschriftlichen Eintragungen hat Wilhelm Gieseler, der Leiter des Instituts, vorgenommen. Foto: Vorlage Fachbereich Kultur, Universitätsstadt Tübingen
Bild 2
Sophie Erhardt (1902–1990) – auf dem Foto lehrend – arbeitete von 1942 bis 1968 am Rassenkundlichen – später Anthropologischen Institut. Zuvor war sie in Berlin an der Erfassung der Sinti und Roma in Deutschland beteiligt. Teile der Kartei nutzte sie bis in die 1980er Jahre zur „Zigeunerforschung“. Foto: Stadtarchiv Tübingen
Bild 3
Einer von 309 Handabdrücken von Juden aus Litzmannstadt (Łódź), die der Tübinger Rassenforscher Hans Fleischhacker 1943 für seine Habilitation verwendete. Er vertrat die These, dass sich die Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ an Handabdrücken nachweisen lasse. Bild: Institut für Ethik und Geschichte der Medizin Tübingen