Treffpunkt der Tübinger Arbeiterbewegung
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Saal im Löwen, Kornhausstrasse 5
Stele Nr. 8
In der Tübinger Unterstadt wohnten überwiegend Arbeiter, Handwerker und Weinbauern. In den 1920er Jahr waren sie vielfach gewerkschaftlich organisiert und wählten mehrheitlich links oder linksliberal. Der Saal des Löwen war ein beliebter Veranstaltungsort der Tübinger Arbeiterbewegung. Noch am 12. Februar 1933 fanden sich Sozialdemokraten und Kommunisten hier zu einer Protestversammlung zusammen – eine gemeinsame Aktion der gespaltenen Linken, die zu spät kam.
Vielgliedrige Arbeiterbewegung
In Tübingen gab es weit weniger Industriearbeiter als in Reutlingen oder Stuttgart. Dennoch existierte auch in Tübingen bis 1933 eine vielgliedrige Arbeiterbewegung: die SPD und die KPD, die Freien Gewerkschaften, der Arbeiterturnerbund, Arbeitergesangsvereine, der Wanderverein „Naturfreunde“. Als das „akademische Tübingen“ bereits mehrheitlich NSDAP oder deutschnational wählte, gab die Unterstadt noch den Linken den Vorzug: Bei den letzten freien Wahlen im November 1932 erhielten hier KPD und SPD mehr Stimmen als die NSDAP und die Deutschnationale Volkspartei. In Tübingen insgesamt erhielten die linken Parteien nur ein Fünftel der Stimmen.
Verboten und verfolgt
Nach dem „Ermächtigungsgesetz“ im März 1933 wurden nach und nach alle Organisationen der Arbeiterbewegung verfolgt und verboten. 27 Tübinger Kommunisten und Sozialdemokraten, dazu 15 aus Lustnau und 10 aus Hagelloch kamen zeitweise ins Konzentrationslager. Nur wenige von ihnen wagten danach noch die offene Opposition. Andere änderten ihre politische Meinung und fügten sich in die „Volksgemeinschaft“ ein. Weitere blieben bei ihrer Einstellung, äußerten sie aber nicht öffentlich und trafen sich zu unverfänglichen Wanderungen oder in einem Weingärtnerhäuschen außerhalb der Stadt.
Zumindest bis 1937 ist auch die Tätigkeit von kleinen Widerstandsgruppen belegt. Eine davon kam in einem Keller in der Hohentwielgasse zusammen: Sie sammelte Geld für Verfolgte, verteilte illegale Schriften und besorgte falsche Pässe für NS-Gegner. Gleich nach Kriegsende, im Mai 1945, rekrutierte sich aus solchen Kreisen die „Demokratische Vereinigung“, die den politischen Neuanfang in Tübingen vorbereitete.
Bild 1 und 2
Im großen Saal des Löwen feierten Arbeitervereine bis in den Februar 1933 ihre Feste und die linken Parteien veranstalteten politische Kundgebungen. Hier sprach der kommunistische Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf über die Abtreibungsfrage, hier warnte der sozialdemoratische Reichstagsabgeordnete Fritz Ulrich vor dem Faschismus. Bild: Stadtarchiv Tübingen
Bild 3
Im Frühjahr 1933 unternahmen Tübinger Gewerkschafter einen Ausflug zum Grab des Reichspräsidenten Friedrich Ebert in Heidelberg. Sie wollten damit zeigen, dass sie weiterhin zur Republik und zur Sozialdemokratie standen. Foto: privat
Bild 4
Heinrich Kost (1899–1979) war bis zum Mai 1933 Vorsitzender der Tübinger Gewerkschaften. Deren Protokollbücher rettete er über die Zeit des Nationalsozialismus – sie sind heute eine wertvolle Geschichtsquelle. Kost arbeitete als Drucker bei der Tübinger Chronik. Als dort im Herbst 1933 ein nationalsozialistischer Betriebsratschef eingesetzt wurde, schrieb er einen Protestbrief. Foto: privat