Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Neue Aula, Geschwister-Scholl-Platz
Stele Nr. 10/ Seite A
Die Neue Aula ist seit ihrer Erbauung im Jahr 1845 das zentrale Gebäude der Universität. In der Zeit des Nationalsozialismus versuchten Tübinger Universitätsangehörige, die Ideologie der neuen Machthaber wissenschaftlich zu untermauern und wirkten an NS-Verbrechen mit.
Judenfeindliche Atmosphäre
An der Eberhard Karls Universität herrschte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945 eine judenfeindliche Atmosphäre. So schrieb der Biologe Ernst Lehmann 1935 rückblickend: „Jüdische Professoren hat Tübingen, ohne viel Worte zu machen, stets von sich fern zu halten gewusst.“ Während der Weimarer Republik gab es nur einen jüdischen Lehrstuhlinhaber, der Tübingen bereits 1931 verließ.
1933 bekundeten zahlreiche Professoren und Dozenten ihre Treue zur nationalsozialistischen Regierung. Studierende hissten die Hakenkreuzfahne auf der Neuen Aula. In kurzer Zeit traten viele Lehrende und Studierende NS-Parteiorganisationen bei. Angehörige der Universität trieben die „Gleichschaltung“ der Hochschule bereitwillig voran.
Kaum Widerstand
Zahlreiche Wissenschaftler der Universität waren bei der Erstellung von Zwangssterilisations- oder Rassengutachten beteiligt. 1934 wurde ein Rassenkundliches Institut gegründet. Die evangelischen Theologen Gerhard Kittel (1888–1948) und Karl Georg Kuhn (1906–1976) entwickelten eine antisemitische „Judenforschung“. Im Zweiten Weltkrieg setzte die Universität vor allem an ihren Kliniken Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein.
Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab es hier so gut wie nicht. Mehr als die Hälfte des Lehrkörpers wurde nach 1945 als politisch belastet entlassen. 85 Prozent von ihnen stellte die Universität jedoch innerhalb eines Jahrzehnts wieder ein
Bild 1
Hissen der Hakenkreuzfahne auf der Neuen Aula am 9. März 1933 durch Mitglieder des NS-Studentenbunds. Einige von ihnen waren später in hochrangigen Positionen in der Geheimen Staatspolizei und der SS tätig und maßgeblich an Deportationen und Erschießungen von Juden in Ost- und Südosteuropa beteiligt. Foto: Universitätsarchiv Tübingen
Bild 2
Im Anatomischen Institut auf dem Österberg (Foto undatiert) wurden die Leichen von über 500 NS-Opfern in Anatomiekursen von Medizinstudierenden seziert. Anschließend bestattete man sie auf dem Gräberfeld X des Stadtfriedhofs. Einzelne Präparate wurden erst 1989 aus den universitären Sammlungen entfernt. Foto: Universitätsarchiv Tübingen
Bild 3
Der Psychiater Hermann F. Hoffmann (1891–1944), Rektor der Universität von 1937 bis 1939, ließ sich für die Rektoren-Galerie in seiner SA-Uniform porträtieren. Als Direktor der Universitätsnervenklinik von 1936 bis 1944 zeigte er zahlreiche Patienten zur Zwangssterilisation an. Foto: Museum der Universität Tübingen MUT/Valentin Marquardt