Die Vereinnahmung der Künste im Nationalsozialismus
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Silcherdenkmal, Platanenallee
Stele Nr. 12
Dieses Denkmal wurde 1941 zu Ehren des volkstümlichen Komponisten Friedrich Silcher (1789–1860) errichtet. Die Nationalsozialisten machten damit den „Vater“ der Sangesbewegung zu einer Symbolfigur ihres Gedankenguts, was der ideologischen Vorbereitung und Verklärung des Kriegs diente.
Vorgaben des NS-Kreisleiters
Der Schwäbische Sängerbund beauftragte nach einem Wettbewerb im Juni 1939 den Stuttgarter Bildhauer Wilhelm Julius Frick mit der Ausführung eines Silcherdenkmals. Sein Entwurf erfüllte genau die Vorgaben des federführenden NS-Kreisleiters Hans Rauschnabel und nimmt Bezug auf die bekannten Lieder „Der gute Kamerad“, „Wer will unter die Soldaten“ sowie Liebes- und Abschiedslieder. Auf der Rückseite des Denkmals ragen Soldaten mit Stahlhelm, ein Junge mit Gewehr und ein abschiednehmendes Paar hervor. Diese idealisierten Figuren dienten der nationalsozialistischen Propaganda und der Verharmlosung des Kriegs. Der Denkmalplatz mit Mauerkreis und Rednerpodest sollte auch für NS-Feiern und Aufmärsche genutzt werden.
Nach der Fertigstellung des Denkmals im Frühjahr 1941 wurde ein günstiger Zeitpunkt für eine kriegsverherrlichende Einweihungsfeier abgewartet. Dazu kam es nicht mehr. Nach 1945 war das Denkmal umstritten. Mehrfach forderten Bürger seine Entfernung. Auf seinen nationalsozialistischen Hintergrund verweist inzwischen die Jahreszahl 1941, die das Landesdenkmalamt 1977 am Sockel anbringen ließ. Erst seit 1995 informiert eine Tafel über Entstehung und Charakter des Monuments.
Bild 1
Am 150. Todestag des Komponisten im Juli 1939 fand eine zweitägige Feier mit der Grundsteinlegung des Silcherdenkmals statt. Die Nationalsozialisten wollten ihre Weltanschauung mit dem Werk des Dichters verbreiten. Bei dem Denkmalwettbewerb war die Platzgestaltung ein wichtiges Kriterium gewesen: Sie sollte die nationalsozialistische Selbstinszenierung ermöglichen. Foto: Stadtarchiv Tübingen/Gebrüder Metz
Bild 2
Philipp Friedrich Silcher (1789–1860), hier um 1822 mit seiner Frau Luise Rosine geb. Enßlin (1804–1871), war von 1817 bis kurz vor seinem Tod der erste Musikdirektor der Universität Tübingen. Bekannt ist er vor allem für seine Liedkompositionen, die oft zu Volksliedern wurden. Foto: H.Zwietasch
Bild 3
Das „alte“ Silcherdenkmal in Form eines Obelisken mit Portraitmedaillon stand von 1874 bis 1928 hinter der Neuen Aula. Es wurde bei deren Erweiterung hierher auf die Neckarinsel verlegt. Dieses Denkmal entsprach nicht den politischen Zielen der Nationalsozialisten und wurde deshalb 1939 entfernt und ersetzt. Foto: Stadtarchiv Tübingen/Friedrich Reichert