Engagement für Demokratie und Wohlfahrt: Familie Hayum
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Uhlandstrasse 15
Stele Nr. 13
Simon Hayum (1867–1948) lebte mit seiner Frau Hermine und fünf Kindern seit 1905 in der Uhlandstraße 15. Dort betrieb der Rechtsanwalt und Kommunalpolitiker die größte Anwaltskanzlei in Tübingen. Hermine Hayum (1875–1967) arbeitete ehrenamtlich in der Wohlfahrtspflege. Die Hayums stehen für eine Generation jüdischer Bürger, deren Existenz im nationalsozialistischen Deutschland zerstört wurde.
Aufstieg aus einfachen Verhältnissen
Simon Hayum stammte aus einfachen Verhältnissen des Landjudentums. Nach erfolgreichem sozialem Aufstieg engagierte sich der promovierte Jurist in der Zeit des Kaiserreichs in der linksliberalen Volkspartei. Von 1908 bis 1912 war er Vorsitzender des Tübinger Bürgerausschusses, in den 1920er Jahren Stadtrat der Deutschen Demokratischen Partei und seit 1928 deren Fraktionsvorsitzender. Im Gemeinderat vertrat Hayum eine bürgernahe Sachpolitik. Den drohenden Angriffen im Gemeinderat im Zuge der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ entzog er sich Ende März 1933 durch seinen Rücktritt.
Am 1. April 1933 hinderten SA-Männer Klienten am Zugang zur Rechtsanwaltskanzlei, ein schleichender Boykott folgte. Auf der Straße wurde der zuvor angesehene Rechtsanwalt und ehemalige Kommunalpolitiker weitgehend ignoriert. Simon und Hermine Hayum mieden Konzert-, Restaurant- und Theaterbesuche, um Beleidigungen aus dem Weg zu gehen. Nach dem Pogrom am 9. November 1938 bereitete das Ehepaar die Flucht zu den Kindern in die USA vor, die bereits früher ausgewandert waren. Zuvor mussten sie ihr Haus in der Uhlandstraße unter Wert an die Stadt Tübingen verkaufen. Simon Hayum starb 1948 in Cleveland (Ohio) und Hermine Hayum 1967 in Newark (New Jersey).
Bild 1 (oben)
Simon Hayum (zweiter von links) in den „bürgerlichen Kollegien“ (Bürgerausschuss und Gemeinderat) im Rathaus, 1909. Foto: Stadtarchiv Tübingen
Bild 2
Hermine Hayum (hier im Garten mit Simon Hayum, 1938) engagierte sich auch aufgrund ihres jüdischen Glaubens in der Wohlfahrtspflege. Unter den Armen und Obdachlosen war das Hayum’sche Haus eine wohlbekannte Adresse. Während des Winters wurde im Bügelzimmer eine Suppenküche eingerichtet. Ab Frühjahr 1933 war die Wohltätigkeit von Juden unerwünscht. Foto: Geschichtswerkstatt Tübingen e.V.
Bild 3 und 4
Der Neffe von Simon Hayum, Julius Katz, wurde 1913 Mitinhaber von dessen Anwaltskanzlei. Seit 1929 gehörte ihr auch der Sohn Heinz Hayum (Foto) an. 1934 bekam Simon Hayum vom Württembergischen Innenministerium Berufsverbot. Sein Sohn und sein Neffe konnten die Kanzlei zunächst weiterführen, 1935 musste sie infolge eines Boykotts geschlossen werden. Fotos: Briefkopf: Stadtarchiv Tübingen, Heinz Hayum: Katzmann Verlag Tübingen