Antisemitismus vor 1933
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Ecke Karlstrasse/Friedrichstrasse
Stele Nr. 14/ Seite A
Dort, wo sich heute das Modehaus Zinser befindet, stand bis in die Nachkriegszeit der Gasthof Ochsen. Der beliebte Treffpunkt war in der Weimarer Republik ein Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen. Nach der Kriegsniederlage und der demokratischen Revolution 1918/1919 breitete sich der Antisemitismus in Tübingen immer stärker aus.
Nationalistisch, antidemokratisch und antisemitisch gesinnt
Im Januar 1923 schlugen Verbindungsstudenten vor dem Gasthof Ochsen den jüdischen Holzhändler Ludwig Marx zusammen. Wenige Tage später bedrohten Studenten Carl Hugo Dahl, den Schwager des jüdischen Verlegers Albert Weil. Es war Ausdruck des politischen Klimas in der Universitätsstadt. Die große Mehrheit der Studierenden und Professoren sowie Teile des Mittelstands und der Beamten waren nationalistisch, antidemokratisch und antisemitisch gesinnt.
Jüdische Wissenschaftler wurden von der Universität fast gänzlich ferngehalten. Prominente Professoren äußerten sich judenfeindlich. Fast alle Studentenverbindungen hatten den „Arierparagraphen“ eingeführt, d.h. sie nahmen keine Juden auf. Rechtsextreme Studenten versuchten 1925 gewaltsam, einen Vortrag des jüdischen Pazifisten Emil Julius Gumbel zu verhindern. Schüler des Uhlandgymnasiums beschimpften die Rechtsanwälte Simon und Heinz Hayum und bedrohten die Söhne des jüdischen Vorsängers Josef Wochenmark. 1928 wurde die Synagoge durch Steinwürfe erstmals beschädigt.
Antisemitische Parteien und Verbände sowie das universitäre Milieu waren in Tübingen Wegbereiter des Nationalsozialismus.
Bild 1
Der Gasthof Ochsen um 1900 (links). Nach einer nationalistischen Kundgebung im Januar 1923 attackierten Verbindungsstudenten dort die beiden jüdischen Holzhändler Lothar und Ludwig Marx. Ludwig Marx wurde schwer misshandelt. Die Rädelsführer wurden vom Amtsgericht Tübingen und dem Disziplinarausschuss der Universität nur zu milden Strafen verurteilt. Foto: Stadtarchiv Tübingen
Bild 2
Diese populäre antisemitische Postkarte mit dem Motiv des deutschen Michelreiters wurde 1919 aus Tübingen nach München versandt. Der deutschvölkische Schutz- und Trutzbund, der Alldeutsche Verband, die deutschnationale Bürgerpartei, der Hochschulring Deutscher Art und die Nationalsozialisten hetzten gegen die Juden und die als „Judenrepublik“ bekämpfte Weimarer Demokratie. Foto: Geschichtswerkstatt Tübingen e.V.