Die Wehrmacht in Tübingen
Station im Stadtrundgang: Geschichtspfad zum Nationalsozialismus
Schellingstrasse 2
Stele Nr. 15/ Seite A
Das Gebäude Schellingstraße 2 war das Mannschaftsgebäude der Thiepval-Kaserne. In Tübingen gab es in der Zeit des Nationalsozialismus drei Wehrmachtskasernen (Thiepval-, Loretto- und Hindenburg-Kaserne) sowie zahlreiche Lazarette. Das Militär war ein selbstverständlicher Teil des öffentlichen Lebens in Tübingen.
Ausbildung zu Soldaten
Mehrere tausend Wehrpflichtige und Freiwillige wurden in den hiesigen Kasernen zu Soldaten ausgebildet. Im Zuge der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen stieg die Militärpräsenz zwischen 1933 und 1935 von einem Bataillon (ca. 800 Mann) auf drei an. In den Folgejahren gab es in Tübingen mehr Soldaten als Studierende.
Das Militär trat regelmäßig im öffentlichen Leben Tübingens auf. Am „Tag der Wehrmacht“ (18. März) und am „Führergeburtstag“ (20. April) sowie am „Tag der Arbeit“ (1. Mai) marschierten lokale Armeeeinheiten feierlich durch die Stadt. Auch Rekrutenvereidigungen wurden öffentlich abgehalten.
31 Lazarette
Tübinger Wehrmachtseinheiten beteiligten sich an den Angriffskriegen gegen andere europäische Länder, so 1940 auf Luxemburg, Belgien, Frankreich und 1941 auf die Sowjetunion. Die Wehrmacht errichtete bis Ende des Kriegs im Stadtgebiet insgesamt 31 Lazarette zur Behandlung von verwundeten Wehrmachtssoldaten.
Als sich die bevorstehende militärische Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands abzeichnete, entfernten sich immer mehr deutsche Soldaten unerlaubt von der Truppe. In den letzten Kriegsmonaten exekutierte die Wehrmacht vermutlich mehrere Deserteure im Wald hinter der Hindenburg-Kaserne. Am 19. April 1945 marschierten französische Truppen in Tübingen ein und übernahmen die Kasernen.
Bild 1
Wehrmachtssoldaten vor dem Mannschaftsgebäude der späteren Thiepval-Kaserne, Oktober 1935. Foto: Stadtarchiv Tübingen/Walter Kleinfeldt
Bild 2
Standorte der wichtigsten militärischen Gebäude in Tübingen:
- Infanterie-Kaserne: 1873 bis 1875 erbaut, 1916 bis 1938 Alte Kaserne, ab 1938 Thiepval-Kaserne
- Neue Kaserne: 1914 bis 1916 erbaut, 1938 in Loretto-Kaserne umbenannt
- Burgholz-Kaserne: 1935 erbaut, 1938 in Hindenburg-Kaserne umbenannt
- Standortlazarett „Auf dem Sand“: 1937 bis 1940 erbaut
Karte: © Universitätsstadt Tübingen, Kartengrundlage: Amtlicher Stadtplan; Fotos: Stadtarchiv Tübingen
Bild 3
Rückkehr von Tübinger Wehrmachtseinheiten aus dem besiegten Frankreich, September 1940. Foto: Stadtarchiv Tübingen/Walter Kleinfeldt
Bild 4
1938 wurde die Gedenktafel in der Thiepvalstraße (heute Hegelstraße) eingeweiht und die Kaserne nach dem französischen Dorf Thiepval benannt. Dort hatten 1916 württembergische Soldaten in einer verlustreichen und verlorenen Schlacht gekämpft, weshalb später „Thiepval“ als Sinnbild für „Heldentod“ galt. Abbildung: Stadtarchiv Tübingen
Bild 5
Angehörige der Marineärztlichen Akademie und Studentinnen vor der Neuen Aula, 1941/1942. Ab 1941 wurden in Tübingen angehende Marineärzte ausgebildet. Sie waren im Evangelischen Stift, dem Wilhelmsstift und der Thiepval-Kaserne einquartiert und studierten an der Medizinischen Fakultät. Foto: Paul Hommel
Schellingstrasse 2
Stele Nr. 15/ Seite B
1873 – 1875
Bau der Infanterie-Kaserne am Bahnhof (Alte Kaserne)
1914 – 1916
Bau der Kaserne an der Katharinenstraße (Neue Kaserne)
1919 – 1934
Nutzung der Alten Kaserne als Wohngebäude und durch die paramilitärische Polizeiwehr; militärische Nutzung der Neuen Kaserne durch die Reichswehr
1934/1935
Kündigung der zivilen Bewohner der Alten Kaserne und erneute Nutzung durch die Reichswehr
1935
Fertigstellung der Burgholz-Kaserne
1937 – 1940
Bau des Standortlazaretts „Auf dem Sand“
1938
Umbenennung der drei Tübinger Kasernen in Thiepval-Kaserne (davor Alte Kaserne), Loretto-Kaserne (davor Neue Kaserne) und Hindenburg-Kaserne (davor Burgholz-Kaserne)
1941 – 1945
Marineärztliche Akademie in Tübingen: Eine Kompanie ist in der Thiepval-Kaserne untergebracht
1944
Die Thiepval-Kaserne wird Reservelazarett
1945 – 1947
Unterbringung von ehemaligen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, sogenannten displaced persons, in der Thiepval-Kaserne
1947 – 1977
Die französische Armee nutzt die Thiepval-Kaserne, wie schon seit 1945 die Loretto- und die Hindenburg-Kaserne.
1991
Das französische Militär verlässt Tübingen.