Tübingen als Landeshauptstadt
Im September 1945 bezog Oberst Guillaume Widmer im beschlagnahmten Verbindungshaus der Rhenanen auf dem Österberg seine Residenz als Gouverneur. Das Justizgebäude in der Doblerstraße wurde zum Sitz der Militärregierung von Württemberg-Hohenzollern. Für die spätere Landeshauptstadt Tübingen begann damit eine Blütezeit als administratives und kulturelles Zentrum.
Am 21. September erschien die erste Ausgabe des „Schwäbischen Tagblatts“. Am 15. Oktober wurde die Universität mit einer Feier im Festsaal der Neuen Aula wiedereröffnet. Viele Studienbewerber waren als ehemalige Wehrmachtssoldaten mit Notabitur nur unzulänglich auf ein akademisches Studium vorbereitet. Um diese jungen Menschen an das Universitätsstudium heranzuführen und ihnen ein demokratisches Selbstverständnis zu vermitteln, wurde 1948 das Leibniz-Kolleg in den Räumen der Deutschen Burse eingerichtet.
Politischer Neuanfang
Gleichzeitig intensivierte die Besatzungsmacht ihre Zusammenarbeit mit den politischen Akteuren vor Ort. Vor allem die Kreiskommandeure zeigten Verständnis für die Probleme der Bevölkerung und kooperierten. Am 15. September 1946 fanden in Tübingen die ersten freien Kommunalwahlen seit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ statt.
Neuer Oberbürgermeister wurde Adolf Hartmeyer. Eine Beratende Landesversammlung arbeitete seit November 1946 an einer Verfassung für das Land Württemberg-Hohenzollern. Am 18. Mai 1947 wurde der erste Landtag gewählt, der sich bis April 1952 im Kloster Bebenhausen versammelte. Tübingen wurde zum Sitz zahlreicher Landesbehörden, unter ihnen die Landespolizei, das Oberlandesgericht und die Post- und Eisenbahnverwaltung.
Demokratisierung: im Dialog mit der Bevölkerung
Die schnelle Wiederaufnahme des politischen Lebens zeigt einerseits, dass die Militärregierung auf einheimische Unterstützung angewiesen war. Andererseits entsprach sie der Einsicht, dass die Demokratisierung nicht von oben verordnet werden konnte. Sie setzte eine öffentliche Diskussionskultur voraus und war nur im Dialog zu erreichen.
Allerdings verlief die Annäherung zwischen Besatzern und Besetzten nicht immer geradlinig. Nach dem Diebstahl dreier französischer Flaggen vom Portal der katholischen Johanneskirche verhängte die Militärregierung im Mai 1946 harte Strafmaßnahmen. Auch die Anwerbung junger Deutscher für die französische Fremdenlegion sorgte noch bis weit in die 1950er Jahre für Konfliktstoff.