Gewalt, Entnazifizierung und Alltagsnöte
Die ersten Tage und Wochen der Besatzung sind den Tübingern als eine Zeit der Ungewissheit und des Schreckens in Erinnerung geblieben. Zeitzeugen berichten von Willkürakten, Plünderung und sexueller Gewalt durch Besatzungssoldaten und ehemalige Zwangsarbeiter. In der Tübinger Frauenklinik ließen sich hunderte vergewaltigte Frauen untersuchen.
Eine konsequente Bestrafung von Plünderern und Vergewaltigern durch die französische Militärjustiz war in den Wirren der letzten Kriegstage nicht möglich. Aus Sicht vieler Tübinger schienen sich daher die Warnungen der nationalsozialistischen Propaganda zu bewahrheiten.
Stadtverwaltung, Justiz und Universität wurden entnazifiziert
Die Besatzer wussten um die Macht der ideologischen Vorprägung. Schon früh ergriffen sie daher Maßnahmen zur Entnazifizierung von Verwaltung, Justiz und Universität. Unterstützt wurden sie von der Demokratischen Vereinigung, deren Mitglieder sich in der Gaststätte zum Pflug in der Unterstadt trafen. Zu dieser Gruppe von unbelasteten Persönlichkeiten zählten der im Juni 1945 als Bürgermeister und Landrat eingesetzte Viktor Renner und Carlo Schmid, der im Oktober zum Leiter der provisorischen Landesverwaltung ernannt wurde. Allerdings war nicht allen an einer umfassenden Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit gelegen. Dies verdeutlichte zum Beispiel der 1949 auf Schloss Hohentübingen abgehaltene Prozess um die „Euthanasie“-Morde von Grafeneck.
Belastetes Verhältnis zwischen Besatzern und einheimischer Bevölkerung
Die Nachkriegsmonate waren gezeichnet von Wohnungsnot, mangelhafter Versorgung und infrastrukturellen Engpässen. Zwar resultierten Lebensmittelknappheit, Produktionsstopp und Schwarzmarkt in erster Linie aus dem Zusammenbruch der deutschen Kriegswirtschaft. Doch wurden sie meist den französischen Besatzern angelastet und als Bestrafung gedeutet.
Neben den Gewaltakten der ersten Wochen und den Konflikten um Entnazifizierung und Demokratisierung belasteten daher vor allem Requisitionen, Einquartierungen und Demontagen das Verhältnis zwischen Besatzern und einheimischer Bevölkerung. Tatsächlich waren die Handlungsspielräume der Militärregierung begrenzt. Denn Frankreich litt infolge des Krieges und der nationalsozialistischen Ausbeutungspolitik selbst unter einem Mangel an Nahrungsmitteln, Kleidung und Wohnraum. In der französischen Öffentlichkeit dominierte der Wunsch nach Revanche. So verfügte die Militärregierung weder über die Mittel, noch über den unbedingten Willen, die materiellen Bedürfnisse der deutschen Bevölkerung zu befriedigen.