Einmarsch 1945 und Besatzungskonzepte
Am Morgen des 19. April 1945 wurde Tübingen von französischen Truppen besetzt. Dass die Stadt vor größeren Zerstörungen verschont blieb, verdankt sie vor allem ihrem Status als Lazarettstandort.
Zwar hatte der nationalsozialistische Gauleiter Wilhelm Murr noch wenige Tage zuvor einen „Kampf bis aufs Messer“ angeordnet. Diesem wahnwitzigen Befehl widersetzte sich jedoch eine Gruppe um den Sanitätsarzt Theodor Dobler. Tübingen wurde zum Lazarettsperrbezirk erklärt.
Die französischen Militärs rückten ohne Gegenwehr in die Stadt ein. Am Rathaus wurde die Trikolore gehisst. Die französischen Befehlshaber bezogen ihr Quartier direkt am Marktplatz im Hotel Lamm. Als besonderes Glück für Tübingen erwies sich, dass die Eberhardsbrücke als einer der wenigen Neckarübergänge nicht gesprengt worden war.
Große Herausforderungen
Trotzdem standen die Besatzer zunächst vor enormen Herausforderungen. Zwar fanden sie eine relativ intakte Stadt und einen arbeitsfähigen Verwaltungsapparat vor. Doch fehlte es ihnen an klaren Weisungen für die Handhabung der angespannten Wohnungs- und Versorgungslage. Tragfähige Konzepte für eine politische Säuberung gab es nicht. Zentrale Direktiven aus Paris für das Vorgehen in der besetzten Zone wurden erst im Juli 1945 formuliert.
Stadtkommandant Étienne Metzger verfolgte daher eine zweigleisige Taktik: Den Maßnahmen zur Vertrauensbildung und dem Verständnis für die Nöte der Bevölkerung standen unmissverständliche Befehle und klare Vorgaben zur Durchsetzung der eigenen Autorität gegenüber.
Demokratisierung und Wiederaufbau
Diese Einstellung folgte allerdings nicht nur humanitären und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten. Vielmehr verdeutlichte sie das grundlegende Interesse der Besatzer an Demokratisierung und Wiederaufbau zum Nutzen aller Beteiligten. Denn den meisten französischen Entscheidungsträgern war klar, dass eine zukunftsorientierte europäische Ordnung ohne einen demokratischen Neubeginn in Deutschland nicht möglich sein würde.
Von Anfang an war die Besatzung daher gezeichnet durch ein ambivalentes Zusammenspiel von Konflikt und Annäherung, Abgrenzung und Begegnung. Die beteiligten Akteure waren dabei vielfältiger und die Formen der Interaktion komplizierter, als es die einfache Gegenüberstellung von Besatzern und Besetzten, von „Franzosen“ und „Deutschen“ zum Ausdruck bringen könnte.