Simon Hayum (1867-1948)
Der Rechtsanwalt und Kommunalpolitiker Simon Hayum lebte über 45 Jahre in der Universitätsstadt. Aus einfachen Verhältnissen stammend, stieg der gebürtige Hechinger zu einem der angesehensten Rechtsanwälte in Tübingen auf. Als liberaler Kommunalpolitiker prägte er während eines knappen Vierteljahrhunderts das öffentliche Leben in Tübingen und war zugleich ein engagierter Repräsentant überregionaler jüdischer Organisationen.
Für ihn, der 1893 der Freisinnigen Volkspartei beitrat, war der unerschrockene Einsatz liberaler württembergischer Politiker wie Friedrich Payer und Theodor Liesching für die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft ein Vorbild. Mitte der 1890 Jahre wurde er Mitglied der exklusiven Museumsgesellschaft, 1898 im Bürgerverein. 1908 wurde Hayum in den mit der kommunalen Haushaltsführung betrauten Bürgerausschuss gewählt, dem er als Vorsitzender bis 1912 angehörte. Im Mai 1919 wählten ihn die Tübinger auf der linksliberalen DDP-Liste mit hoher Stimmenzahl in ihren Gemeinderat.
Während seiner ersten Amtszeit, von 1919 bis 1925, war Hayum im Finanz- und Rechtsausschuss tätig, wo er für die Konsolidierung der Gemeindefinanzen kämpfte, die im steuerschwachen Tübingen durch die Inflation bedroht wurden. Hayum wollte auch die Demokratie im Rathaus stärken. So setzte er sich für die klare Aufteilung der Kompetenzen der Verwaltung, der Polizei, der Reichs- und Landesbehörden, sowie für die Abwehr von Korruption in den Amtsstuben ein. Ebenso engagierte er sich für eine gemäßigte Sozialpolitik, die auf eine schrittweise Verbesserung der sozialen Lage der benachteiligten Gruppen und Klassen hinauslief.
Das Ausscheiden Hayums aus dem Gemeinderat 1925 entsprach einer alten Rotationsregel. Nach seiner Wiederwahl im Dezember 1928 übernahm Hayum den Vorsitz der DDP-Gemeinderatsfraktion und setzte auf die Kontinuität erprobter linksliberaler Sachpolitik. Trotz Wirtschafts- und Staatskrise versuchten der Gemeinderat und der seit 1927 amtierende Oberbürgermeister Adolf Scheef (DDP), den Kurs der bürgerlichen Sachpolitik zu halten.
Hayums demokratischer Kampf war in der Endphase der Weimarer Republik aus verschiedenen Gründen erfolglos geblieben. Ende März 1933 legte er sein Amt als Gemeinderat nieder. In der Zeit von 1933 bis 1939 durchlebten Simon Hayum und seine Familie durch die Nazis weitere Ausgrenzungen, berufliche Ausschaltung und Demütigungen. Er war in Tübingen isoliert. Die Flucht Ende Januar 1939 in die Schweiz war die letzte aller Möglichkeiten, sich der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entziehen und somit der Shoah zu entkommen. Sein geliebtes Tübingen hat er nie wieder gesehen.
Text: Christoph Hölscher; erschienen im Schwäbischen Tagblatt am 6. November 2008.