Tübinger Vertrag
Mitspracherecht und Schuldenerlass
Im Jahr 1514 war Herzog Ulrich von Württemberg völlig überschuldet, sein Herzogtum dem Bankrott nahe. Neue Steuern wurden ausgeschrieben, stießen aber auf erbitterten Widerstand der Bauern. Im Remstal brach ihr Aufstand des „Armen Konrad“ los, der rasch im ganzen Land um sich griff und kaum noch einzudämmen war. Um die Staatskrise zu lösen, berief Ulrich einen Landtag nach Tübingen ein.
In seiner Notlage musste er der „Ehrbarkeit", der bürgerlich-städtischen Elite seines Landes, ein dauerhaftes politisches Mitspracherecht einräumen. Allen seinen Untertanen versprach er umfangreiche Grundrechte – darunter ordentliche Gerichtsverfahren und die Möglichkeit der freien Auswanderung. Die Ehrbarkeit übernahm als Gegenleistung die herzoglichen Schulden von fast einer Million Gulden und half in der Folge bei der Niederschlagung der Bauern. Die Verhandlungsergebnisse wurden am 8. Juli 1514 im sogenannten Tübinger Vertrag besiegelt.
Zeitgeschichtliche Einordnung
Der Tübinger Vertrag zählt heute zu den ältesten verfassungsgeschichtlichen Zeugnissen der Welt. Über die engen Landesgrenzen hinaus ist er Bestandteil einer Entwicklung, die mit der Magna Charta in England beginnt und bis zu unseren modernen Verfassungen mit ihren verbrieften Menschenrechten führt. Er ist ein wichtiger Teil der europäischen Verfassungsgeschichte und galt noch im 19. Jahrhundert, so der Tübinger Ludwig Uhland, als das „gute, alte Recht“.
Allerdings muss man auch seine negativen Seiten betrachten: Der Tübinger Vertrag war auf dem Rücken des „gemeinen Mannes“, der ländlichen Bevölkerung, ausgehandelt worden. Die Bauern hatte man sogar vom entscheidenden Landtag in Tübingen ausgeschlossen und ihren aufkeimenden Widerstand gewaltsam erstickt. Eine Teilhabe an der Macht war für sie noch nicht vorgesehen.
Das Jubiläum 2014
Im Jahr 2014 haben viele Ausstellungen, Konzerte, Vorträge und Lesungen in der Universitätsstadt Tübingen an den 1514 geschlossenen Tübinger Vertrag erinnert. Bei einem Stadtrundgang, den Stadtarchivar Udo Rauch konzipiert hat, können Interessierte die geschichtlichen Ereignisse an verschiedenen Stationen mit historischer Bedeutung nachvollziehen. Einen Überblick über die Veranstaltungen zum Jubiläum bietet diese Broschüre. Zu den Höhepunkten im Veranstaltungsprogramm gehörten:
- Eröffnet wurde das Jubiläumsjahr mit einem Festakt in der Stiftskirche. Die Festrede hielt Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
- Die Kunsthalle zeigte die Sonderausstellung „1514 MACHT GEWALT FREIHEIT – Der Vertrag zu Tübingen in Zeiten des Umbruchs“. Sie stellte den Tübinger Vertrag in den europäischen Kontext und erzählte mit über 280 hochkarätigen Exponaten – unter anderem von Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Andy Warhol und Sigmar Polke – von den Errungenschaften und Ideen, von Krisen und politischer Willkür der Zeit um 1514.
- Das Stadtmuseum zeigte die Mitmach-Ausstellung „Kassiere und regiere!“ zu 500 Jahren Tübinger Vertrag. Die Ausstellung trug die zentralen Themen des Tübinger Vertrags auf spielerische Weise in die Gegenwart: Die Besucherinnen und Besucher konnten in die Rolle der heutigen Politiker schlüpfen und – ausgestattet mit einem Säckchen Münzen – ganz allein über die öffentlichen Ausgaben entscheiden.
- Das Theater Lindenhof aus Melchingen zeigte das Schauspiel „Der Arme Konrad“ als Freiluft-Theater auf der Neckarinsel. Das Schauspiel aus dem deutschen Bauernkrieg 1514, das Friedrich Wolf 1923 verfasste, hat die Revolte der Bauern aus dem Remstal in die Stadt des Tübinger Vertrags gebracht. Regie führte Klaus Hemmerle.
- Für einen „Langen Samstag des Tübinger Vertrags“ haben das Stadtmuseum und das Stadtarchiv ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt. An elf Stationen in der Tübinger Altstadt konnten Besucherinnen und Besucher mit allen Sinnen in die Zeit der Renaissance eintauchen. An Originalschauplätzen war viel Wissenswertes über den Tübinger Vertrag zu erfahren.