Uhlandstraße
Station im Stadtrundgang: Stadtrundgang zu den Spuren jüdischen Lebens
Familie Dessauer
In der damals modernen, fast großstädtischen Straße ließen sich anfangs des 20. Jahrhunderts in unmittelbarer Bahnhofsnähe mehrere jüdische Familien nieder. Haus Nummer 16 gehörte dem Optiker und Graveur Adolf Dessauer.
Der Sohn des Wankheimer Vorsängers war 1875 zusammen mit seinem Bruder Jakob nach Tübingen gezogen, wo dank der Hochschule und den Kliniken das gemeinsame Optikgeschäft florierte.
1903 konnte sich der langjährige Vorstand der Synagogengemeinde (1900-1914) das stattliche Haus am Uhlanddenkmal kaufen, das er zusammen mit seiner sechsköpfigen Familie und der seines Bruders bewohnte. Nach dem Novemberpogrom musste er es im Januar 1939 verkaufen; 1940 ist er in Tübingen gestorben.
Familie Hayum
In der Uhlandstraße 15 lebte seit 1905 Dr. Simon Hayum mit seiner Familie. Dort führte er auch, zusammen mit seinem Vetter Dr. Julius Katz, die größte Anwaltspraxis der Stadt. 1929 kam sein Sohn Dr. Heinz Hayum hinzu.
Simon Hayum engagierte sich vielfach im öffentlichen Leben der Stadt sowie in der Selbstverwaltung der Jüdischen Gemeinde. Zwischen 1924 und 1935 saß er im Präsidium der Israelischen Landesversammlung und von 1919 bis 1933 für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) im Tübinger Stadtrat sowie im Vorstand des Ortsschulrats. Seine Großzügigkeit gegenüber Bedürftigen war stadtbekannt, dennoch trafen ihn schon vor 1933 judenfeindliche Pöbeleien. Unmittelbar nach der kommunalen Machtübernahme der Nazis gab Hayum seine städtischen Ehrenämter zurück. Für das geachtete Ehepaar Hayum begann der soziale Abstieg. Um 1939 über die Schweiz zu den Kindern in die USA emigrieren zu können, mussten sie ihr großes Haus an die Stadt verkaufen. Nur unter Schwierigkeiten erhielt es die Familie nach 1945 zurückerstattet.
Familie Weill und die Tübinger Chronik
Die Uhlandstraße 2 bewohnte seit 1905 der jüdische Verleger Albert Weill mit Frau und sechs Kindern. In der Parterre und im ersten Stock arbeiteten Druckerei und Redaktion der "Tübinger Chronik". Der innovative Geschäftsmann verteidigte die Weimarer Republik, vermied aber aus Rücksicht auf das antisemitische Milieu der Universitätsstadt jede Berichterstattung über die Jüdische Gemeinde.
Kurz nach dem hohen Wahlsieg der NSDAP bei der Reichstagswahl im September 1930 verkaufte er die Zeitung an den deutschnationalen Ulmer Verleger Dr. Karl Höhn und zog mit seiner Familie in die Schweiz. Sein Sohn Hermann blieb als Verlagsleiter und wurde zur Zielscheibe gehässiger Angriffe, bis das traditionsreiche Lokalblatt im Dezember 1933 von der NS-Presse GmbH Württemberg aufgekauft und als "Tübinger Chronik - Neues Tübinger Tagblatt" restlos gleichgeschaltet wurde.