„Kameradschaft die runde“ (1950-1969)
Ein Beispiel für eine versteckte schwule Lebenswelt mitten in der Gesellschaft ist die Einladung zu einer „Herrenpartie“ mit einer Station in Tübingen. Was ganz unverfänglich erscheint und schon gar nicht nach Werbung für eine Aktivität von schwulen Männern aussieht, ist die Einladung zu einem gemeinsamen Ausflug von Mitgliedern der beiden wichtigsten deutschsprachigen Homosexuellengruppen der 1960er-Jahre: „Der Kreis“ aus Zürich und die „Kameradschaft die runde“ aus Reutlingen. Die jährlichen „Herrenpartien“ fanden immer zu Christi Himmelfahrt statt – am Vatertag also, damit nicht auffiel, dass so viele Männer zusammen ohne Frauen unterwegs waren.
„Der Kreis“ bestand mit seiner Vorläuferorganisation bereits seit 1933 und prägte die gesamte europäische, damals sogenannte Homophilenbewegung. „die runde“ wurde 1950 vom Freundespaar Harry Hermann und Willy Stiefel gegründet und bestand bis 1969. Nach Auflösung der meisten deutschen Homosexuellengruppen kam der „runde“ in den 1960er-Jahren bundesweite Bedeutung zu: Sie wurde zum Austauschzentrum für die Debatten um §175 und zur Anlaufstelle für Aktivisten. Dabei war „die runde“ familiär organisiert, mit Harry Hermann als Vaterfigur, der an keiner Stelle als Homosexueller an die Öffentlichkeit trat. „die runde“ hatte ihr privates Zentrum in der Reutlinger Planie 14, ihren Stammtisch und Veranstaltungen im Katharinen-Eck und später in der List-Staffel in Stuttgart.
In den 1960er-Jahren hatte sie auch einen wichtigen Bezug zu Tübingen. Ab 1964 entwickelte „die runde“ ihre Zeitschrift „Der Rundblick“. Sie erschien vier Jahre lang und wurde auch ins Ausland verschickt. Die Produktion der Zeitschrift geschah in Handarbeit: Die maschinengetippten Seiten wurden hektografiert und einzeln zu Exemplaren zusammengeheftet. Ein Tübinger Mitglied der „runde“ vervielfältigte die Seiten heimlich im Büro der Württembergischen Forstverwaltung im Schloss Bebenhausen.