Helmut Kress (geboren 1946)
Helmut Kress wuchs in Tübingen in einer Familie mit sechs Kindern auf. 1961 begann er eine Lehre als Bauzeichner im Technischen Rathaus. Er fand homosexuelle Kontakte in den Parks am Neckarufer – aufregende Abenteuer, die er genießt, ohne nachzudenken. Im Herbst 1961 wurde Helmut Kress an seinem Arbeitsplatz verhaftet, in Handschellen abgeführt und ohne Beistand stundenlang verhört. Der 16-Jährige bestätigte seine Kontakte mit Männern und wurde zu 14 Tagen Haft verurteilt, die er im Jugendgefängnis Oberndorf in Einzelhaft absaß.
Viel später erfuhr Kress durch einen Aktenfund im Stadtarchiv, dass ihn sein Dienstherr Oberbürgermeister Hans Gmelin angezeigt hatte – aufgrund eines Liebesbriefs, den er in seinem Schreibtischvergessen hatte. Von der Polizei nach Hause gebracht, folgte das Zwangs-Outing vor der Familie, die kurz nach dem Tod der Mutter ohnehin aufgewühlt war. Der Vater ging auf Distanz zum Sohn, die Beziehung brach bald ganz ab. Unterstützung fand er bei seinen Geschwistern, vor allem bei seiner älteren Schwester.
Helmut Kress beendete die Lehre und fand im Laufe der 1960er-Jahre zur Gastronomie, die zu seiner Leidenschaft wurde. Nach Stationen in Berlin, Offenburg, Bad Winsheim und München kehrte er nach Tübingen zurück und übernahm die Weinstube Göhner, die er bis 2018 führte.
2017 wurde Kress nach dem „Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG)“ für Urteil und Haft entschädigt. Er gehört zu den wenigen in Baden-Württemberg nach §175 Verurteilten, die bereit sind, öffentlich darüber zu sprechen. Ein Interview mit Helmut Kress ist unter „Interviews mit Zeitzeug*innen“ zu finden.
Oberbürgermeister Boris Palmer hat Helmut Kress bei einem Empfang am 23. Juni 2022 um Entschuldigung für das damalige Verhalten der Universitätsstadt Tübingen gebeten. Die Entschuldigung ist mit einer Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro verbunden.