Geschichte und Charakter des Stadtfriedhofs
Der Tübinger Stadtfriedhof wurde im Jahr 1829 auf den Spitaläckern weit außerhalb der Stadtmauern angelegt. Er ersetzte einen zu klein gewordenen Gottesacker am Stadtrand. Die Planungen des Oberamtsarztes Gotthold Uhland, Onkel des später hier beigesetzten Dichters Ludwig Uhland, sahen neben der hygienischen Entfernung zur Stadt auch regelmäßig angelegte Grabfelder und ein gutes Wegenetz vor. Außerdem sollten Bäume, wohlriechende Sträucher und schmückende Blumen wachsen.
Der erste Bestattete war ein Schmied namens Engelfried. Sein Name verlieh dem Ort die Bezeichnung „Engelfrieds Hof“. Bis der Friedhof zu seiner heutigen parkähnlichen Gestaltung fand, dauerte es allerdings: Als der Dichter Friedrich Hölderlin hier 1843 beigesetzt wurde, wuchsen zwischen den Gräbern noch Obstbäume und Viehfutterpflanzen. Erst ein Verschönerungsverein sorgte für ein verbessertes Erscheinungsbild.
Mehr als 30 Jahre Begräbnisstopp
Der Stadtfriedhof umfasste zunächst die heutigen Felder A bis K. Nach 20 Jahren wurde er erstmals erweitert, dann wieder 1872 und 1920, bis er rund drei Hektar maß und das Gelände keine weitere Ausdehnung mehr zuließ. Deshalb wurde knapp 100 Jahre nach seiner Einrichtung über die Anlage eines neuen Friedhofs diskutiert. 261 Gefallene des Ersten Weltkriegs hatten im Feld S noch die letzte Ruhe gefunden. Die Toten des Zweiten Weltkriegs wurden aus Platzmangel auf dem Galgenberg beigesetzt. 1950 wurde dort offiziell der Bergfriedhof eröffnet und zu Tübingens Hauptbestattungsort.
1968 beschloss der Gemeinderat, den Stadtfriedhof aufzugeben. Dies hätte den Verlust vieler bemerkenswerter Gräber zur Folge gehabt. Im Jahr 2000 entwickelte die Friedhofsverwaltung ein Konzept zur planvollen Weiternutzung. Unter bestimmten Umständen werden Grabstellen nun wieder zur Neubelegung vergeben. Die Wiedereröffnung des Stadtfriedhofs wurde im April 2002 mit einem Festakt gefeiert. Seitdem wurden mehr als 50 Bäume neu gepflanzt und viele wertvolle Grabmale – auch dank privater Spenden – restauriert. Dauerhafte Förderer sind der Schwäbische Heimatbund und die Knapp-Stiftung.
Bemerkenswerter Grabbestand
Viele alte Gräber auf dem Stadtfriedhof zeugen davon, dass Tübingen immer mit und von seiner Universität gelebt hat. 1987 zählte man 174 Professoren, zwölf Bibliothekare, 30 Buchhändler, 112 Pfarrer, gut 60 Juristen, 82 Postangestellte, 13 Fotografen und 42 Gastwirte. Die Grabsteine sind, im Geist des Pietismus, überwiegend schlicht gestaltet.
Das Gräberfeld X nutzte von 1849 bis 1963 das Anatomische Institut der Universität als Begräbnisplatz für die Körper, die der medizinischen Lehre und Forschung gedient hatten. Zwischen 1933 und 1945 waren darunter auch Hunderte Opfer des Nationalsozialismus. Heute ist die Gesamtanlage des Tübinger Stadtfriedhofs ein Kulturdenkmal.