Niethammerstraße
Emil Niethammer (1869–1956)
benannt 1956
Emil Niethammer studierte Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen, wo er außerdem Mitglied des Corps Rhenania wurde. Bis 1914 war er zunächst Amtsrichter in Schwäbisch Gmünd, dann Landrichter in Ellwangen. Während des Ersten Weltkriegs stieg er zum Major und Regimentsführer auf. 1919 wurde er kommissarischer Generalstaatsanwalt in Stuttgart, 1922 Reichsanwalt am Reichsgericht in Leipzig. 1924 machte er im Prozess gegen die Mitglieder der rechtsterroristischen „Organisation Consul“ durch seine unangemessene Milde gegenüber den Angeklagten von sich reden. Auch nach 1933 blieb er als Reichsanwalt und Reichsgerichtsrat in Leipzig tätig. Er beteiligte sich aktiv in der 1935 eingesetzten amtlichen Kommission für die Erneuerung des Strafrechts im Sinne des NS-Regimes. 1938 erhielt er einen Ehrendoktortitel der Juristischen Fakultät in Kiel, die für ihre besondere Nähe zum Nationalsozialismus bekannt war. Bis Kriegsende beteiligte er sich als Gutachter in der Reichs- und Landesgesetzgebung. Da Niethammer kein Mitglied der NSDAP gewesen war, überstand er die Entnazifizierung unbeschadet. Trotz seiner prominenten Rolle im Justizwesen während der NS-Zeit und seiner autoritären Ansichten wurde er 1947 zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Tübingen ernannt und war damit automatisch auch Vorsitzender des Staatsgerichtshofs von Württemberg-Hohenzollern. Noch nach seiner Pensionierung 1950 wurde er 1953 als Mitglied in die von der Bundesregierung eingesetzte Große Strafrechtskommission berufen. 1954 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz. Wenige Monate nach seinem Tod ehrte ihn die Stadt Tübingen 1956 mit einem Straßennamen.
Niethammers Biografie zeugt von einem weltanschaulich gefestigten antidemokratischen Weltbild über alle Zäsuren deutscher Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinweg. Bereits im Prozess gegen die „Organisation Consul“ 1924 machte Niethammer aus seiner Abneigung gegen die Weimarer Republik keinen Hehl, obwohl er diese als Reichsanwalt selbst repräsentierte. Durch seine Mitwirkung an der Erneuerung des Strafrechts im Nationalsozialismus beteiligte er sich aktiv an der Aushöhlung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien und unterstützte dadurch die Verfolgung von politischen Gegnern, Andersdenkenden und Homosexuellen, aber auch von sogenannten „Asozialen“, „Gemeinschaftsfremden“ und „Fremdvölkischen“. Nach dem Krieg setzte er sich mit der Autorität eines Oberlandesgerichtspräsidenten dafür ein, dass die unter seinem Zutun in der NS-Zeit erarbeitete „gesunde Fortentwicklung des Rechts“ nicht grundlegend revidiert wurde. Schuldgefühle oder Reue zeigte er nicht. Stattdessen wirkte er als Abgeordneter und Widersacher Carlo Schmids in der Verfassunggebenden Landesversammlung von Württemberg-Hohenzollern federführend an der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs mit, der zur Spaltung des Verfassungsausschusses führte und wegen seines restaurativen und autoritären Charakters schließlich von der französischen Militärregierung zurückgewiesen wurde.
Die Kommission ordnete Niethammer den ethischen Problemfeldern Demokratiefeindlichkeit, Mitwirkung an Justizverbrechen und Mitwirkung am NS-Regime zu und empfahl die Straße umzubenennen. Im Abschlussbericht heißt es: „Niethammers Biografie zeugt von einem weltanschaulich gefestigten antidemokratischen Weltbild über alle Zäsuren deutscher Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert hinweg.“
Der Gemeinderat lehnte eine Umbenennung der Straße ab und beschloss stattdessen eine Umwidmung der Straße zu Dietrich Niethammer (1939–2020). Dietrich Niethammer war Kinderarzt, Onkologe und langjähriger Leiter der Tübinger Kinderklinik. Er gilt als Vorreiter der Knochenmark- und Stammzelltransplantation in der Pädiatrie und trat außerdem für eine familienorientierte Rehabilitation in der Kinderonkologie ein.