Straßennamen in der Diskussion
Im Jahr 2020 forderte die Gemeinderatsfraktion „Die Fraktion“ mit einem Antrag die Umbenennung von drei Tübinger Straßennamen. Dieser Antrag setzte eine Diskussion in der Öffentlichkeit und im Gemeinderat über die Benennung von Straßen und deren Namensgeber_innen in Gang. Diskutiert wurde, wie in anderen Kommunen auch, über Menschen, deren Biografien im Zusammenhang mit Antisemitismus oder Kolonialismus stehen, weil sie Mittäter oder Profiteure des NS-Regimes waren oder weil sie aus anderen Gründen heutigen gesellschaftlichen, ethischen oder politischen Maßstäben nicht mehr genügen. Sollen, dürfen solcherart belastete Personen heute noch mit einem Straßennamen geehrt werden? Sollen Straßen umbenannt oder mit Kommentierungen versehen werden?
Um dem Gemeinderat eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu geben und die Tübinger Straßennamen umfassend, strukturiert, vergleichend und auf wissenschaftlicher Basis zu untersuchen, wurde eine siebenköpfige Kommission von Fachleuten eingesetzt. Die Mitglieder der Kommission – Professorinnen und Professoren der Geschichtswissenschaften, Geschichtsdidaktik und Soziologie, eine Archivarin und zwei Archivare – richteten den Fokus auf insgesamt 18 kritische Namensgeber_innen und entwickelten Kriterien zur Bewertung ihrer Biografien; sie definierten unter anderem „ethische Problemfelder“, anhand derer sie diese Biografien mehrdimensional bewerteten. Im Januar 2023 wurde der Abschlussbericht der Kommission vorgelegt und dem Gemeinderat und den Ortschaftsräten eine Handlungsempfehlung gegeben.
Straßennamen, die nicht umbenannt werden sollen, deren Namensgeber_innen aber von der Kommission als diskussionswürdig erachtet werden, sollen dennoch weiterhin im Stadtbild sichtbar sein. Zu diesem Zweck wurde in die Pfosten der betreffenden Straßenschilder symbolisch ein Knoten „geknüpft“. Er weist prägnant darauf hin, dass hier etwas zur Diskussion steht. Über einen QR-Code gelangen Interessierte zur ausführlichen Kommentierung des Straßennamens.
Die Kommission schlug insgesamt sechs Straßennamen zur Umbenennung vor:
- Albrechtstraße (Südstadt)
- Karl-Brennenstuhl-Straße (Pfrondorf)
- Eduard-Haber-Straße (Lustnau)
- Lämmleweg (Hirschau)
- Niethammerstraße (Nordstadt)
- Noldeweg (Kilchberg)
Eine kurze Vorstellung der betroffenen Biografien und der hundertseitige Abschlussbericht mit ausführlichen Begründungen der Empfehlungen der Kommission finden sich unten.
In den Ortsteilen Hirschau, Kilchberg und Pfrondorf obliegt die Entscheidung über die Einleitung eines Umbenennungsverfahrens nach der Gemeindeordnung den Ortschaftsräten.
- Der Ortschaftsrat Pfrondorf entschied sich am 21. Juni 2023 gegen die Umbenennung der Karl-Brennenstuhl-Straße. Die Straße soll mit einer Kommentierung (Knoten) versehen werden.
- Der Ortschaftsrat Kilchberg entschied sich am 20. September 2023 gegen die Umbenennung des Noldewegs. Der Weg soll mit einer Kommentierung (Knoten) versehen werden.
- Der Ortschaftsrat Hirschau entschied sich am 12. Dezember 2023 gegen eine Umbenennung des Lämmlewegs. Der Weg soll mit einer Kommentierung (Knoten) versehen werden.
Für die Albrechtstraße, die Eduard-Haber-Straße und die Niethammerstraße ist der Gemeinderat zuständig.
- Am 28. September 2023 lehnte der Gemeinderat die Umbenennung der Albrechtstraße und der Niethammerstraße ab. Stattdessen wurden beide Straßen umgewidmet. Die Albrechtstraße ist zukünftig nach der französischen Widerstandskämpferin Berty Albrecht benannt, die Niethammerstraße nach dem Onkologen und Kinderarzt Dietrich Niethammer.
- Ebenfalls am 28. September 2023 beschloss der Gemeinderat die Umbenennung der Eduard-Haber-Straße. Nach weiteren Beratungen entschied sich der Gemeinderat am 18. Dezember 2023 für eine Umbenennung in Felicia-Langer-Straße.