1823–1857: Ernst Wilhelm Bierer
Ernst Wilhelm Bierer lebte von 1796 bis 1876 und war zwischen 1823 und 1857 Stadtschultheiß Tübingens.
Stadtschultheiß hießen die Bürgermeister seit der Gründung des Königreichs Württemberg 1806. Obwohl Bierer weniger Wählerstimmen als sein Gegenkandidat Johann Andreas Adam erhielt, wurde er vom König zum Stadtschultheiß ernannt, weil der ihn aufgrund seiner monarchischen Ausrichtung bevorzugte.
Bierer hatte in Tübingen Jura studiert und verfasste während seiner Amtszeit die „Grundsätze des Württembergischen Privatrechts“, ein juristisches Werk mit dem Ziel, das Privatrecht an ein Einheitsgrundgesetz anzunähern.
In Bierers Amtszeit fiel die Märzrevolution von 1848 bis 1849, die in Württemberg zwar ohne größere militärische Auseinandersetzungen verlief, aber dennoch in Reformen mündete. Bierer selbst blieb für die Revolution von 1848 unbedeutend. Der Tübinger Dichter und Abgeordnete der Frankfurter Paulskirche Ludwig Uhland tat sich durch hohes Engagement hervor: Er verfasste die Tübinger Adresse vom 2. März 1848, die von über 1.000 der insgesamt rund 9.000 Tübinger unterzeichnet wurde und in den Folgemonaten vielen Württembergern als politisches Programm diente.
Bierer und der Gemeinderat ließen 1850 nicht zu, dass die jüdische Familie Hirsch nach Tübingen ziehen konnte, obwohl ihr dieses Recht seit 1849 aufgrund der neuen Verfassung zustand. Erst mit einem Gerichtsverfahren konnte die Familie ihr Ansiedlungsrecht durchsetzen. Damit wohnte nach 373 Jahren (!) wieder eine jüdische Familie in Tübingen, was bis dahin seit 1477 im Rahmen der Universitätsgründung verboten gewesen war. Bierer und der Gemeinderat waren anti-jüdisch eingestellt.