1768–1788: Christoph Adam Dörr
Christoph Adam Dörr lebte von 1709 bis 1788 und war zwischen 1768 und 1788 Bürgermeister Tübingens.
Christoph Adam Dörr wurde 1709 als Sohn eines Frankfurter Schuhmachers in Tübingen geboren. Er lernte das Knopfmacherhandwerk und wurde 1744 in den Gemeinderat berufen, eines von zwei der Verwaltungsgremien der Stadt. Für Dörr war die Berufung in den Rat ein gesellschaftlicher Aufstieg, da die Gremien nur Mitglieder aus „ehrbaren“ (Erklärung zur „Ehrbarkeit“ bei Johann Lorenz Kienlin), alteingesessenen und sehr wohlhabenden Familien aufnahmen. Diesen Aufstieg erreichte Dörr durch seine Ehen mit Töchtern aus „ehrbaren“ Familien. 1758 stieg Dörr in der Rolle eines „Teil- und Waisen-Richters“ im Gerichtsgremium weiter auf. Das Porträt entstand möglicherweise anlässlich des 50. Geburtstags Dörrs und zeigt ihn, mit prächtigen und detailreich dargestellten Knöpfen, als so genannten „Gerichtsverwandten“.
1768 wurde Dörr schließlich zu einem der vier Bürgermeister ernannt, nachdem der bisherige Amtsinhaber Johann Friedrich Steeb verstorben war. Dörr hatte bis zu seinem Tod 1788 das Amt inne. Als Amtsbürgermeister des Rechnungswesens verwaltete er die Steuereinnahmen, die Armenfürsorge und teilweise auch das Schulwesen.
Wie auch für seinen Mit-Bürgermeister Johann Kölle war für Dörr vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage der Stadt ein großes Problem. Der Niedergang war unter anderem auf den Abstieg der Universität Tübingen zurückzuführen, weil der Württembergische Herzog Karl Eugen eine viel besser ausgestattete Konkurrenz mit der Gründung der „Stuttgarter Hohen Karlsschule“ eingerichtet hatte. Die Universität und all ihre Angehörigen waren damals zwar rechtlich getrennt von der Stadtverwaltung, ihr Wohlergehen hatte aber großen Einfluss auf die Wirtschaft der Stadt.
Im 18. Jahrhundert gab es zahlreiche Stadtbrände: 1742, 1771 und 1789.
Zwei Enkel von Christoph Adam Dörr wurden Maler in Tübingen. Das Porträt in dieser Galerie von Bürgermeister Johann Immanuel Bossert stammt von Christoph Friedrich Dörr, dem Enkel des hier dargestellten Bürgermeisters.
Niedergang der Universität Tübingen
Dörr und Kölles Amtszeiten als Bürgermeister waren vom Konflikt mit dem Württembergischen Herzog Karl Eugen geprägt, gegen dessen Steuererhöhungen sie sich einsetzten. Bereits ihre Vorgänger Johann Friedrich Steeb (1712–1768) und Heinrich Damm (1720–1790) hatten entscheidende Rollen im anhaltenden Konflikt der Stände mit Herzog Karl Eugen gespielt. Herzog Karl Eugen benötigte für seine absolutistischen Reformen und Repräsentationsprojekte immense finanzielle Mittel, die er unter anderem mit seit 1755 rechtswidrig erhobenen Steuern zu decken versuchte. Tübingen und deren Universitätsangehörige nahmen im Konflikt zwischen den besteuerten Landständen und Fürsten eine leitende Position gegen den Herzog ein. Den Landständen gelang es erst 1770 am kaiserlichen Reichshofrat in Wien, das alte Recht wiederherzustellen.
Ab 1770 war Karl Eugen auch weiterhin bemüht, den Einfluss der Stadt und der Universität zu untergraben und gründete im selben Jahr die „Hohe Karlsschule“, die zuerst auf der Solitude, ab 1775 in Stuttgart eingerichtet wurde. Als absolutistische, aber hochmoderne und bestens finanzierte Konkurrentin zur widerspenstigen Tübinger Universität konnte die „Hohe Karlsschule“ zahlreiche Söhne aus angesehenen württembergischen Familien anziehen, darunter Friedrich Schiller. 1782 gab es in Tübingen nur noch rund 150 Studenten und die Schließung der Universität zeichnete sich ab. Erst als Karl Eugens Nachfolger Ludwig die „Hohe Karlsschule“ 1794 auf Druck der Landstände und aufgrund finanzieller Schwierigkeiten überraschend auflöste, war die Krise der Tübinger Universität – und damit der Stadt selbst – beendet.