Geschichte der Bürgermeistergalerie
Tübingen verfügt, wie andere Kommunen auch, über eine Bürgermeister-Galerie – eine Sammlung von Porträts früherer Bürgermeister und Oberbürgermeister_innen. Vor allem im 20. Jahrhundert wurde es üblich, dass diese am Ende ihrer Amtszeit mit einem Porträt geehrt und die Bilder im Rathaus präsentiert wurden. Die ältere Geschichte der Tübinger Bürgermeister-Galerie ist nur lückenhaft überliefert. Im Folgenden wird die Geschichte nach heutigem Kenntnisstand rekonstruiert.
Als zum Universitätsjubiläum 1877 das Rathaus modernisiert wurde und auch seine neue Fassade erhielt, wurden alt eingesessene Tübinger Familien aufgefordert, die historischen Bürgermeisterporträts ihrer Vorfahren aus dem Rathaus abzuholen – sie würden im Rathaus nicht mehr gebraucht. Seit wann die Porträts gesammelt oder wo sie im Rathaus ausgestellt wurden, geht aus dem Schreiben nicht hervor. So gelangte aber das Porträt des Bürgermeister Johann Lorenz Kienlin aus dem 17. Jahrhundert in den Privatbesitz der Familie Sinner, die es sorgfältig bewahrte. Ihre Nachkommen haben dieses Bild, das heute als ältestes in der neuen Galerie hängt, 2022 wieder der Stadt geschenkt.
Aus dem Jahr 1940 erfahren wir, dass – unter der Regierung des Nationalsozialisten Ernst Weinmann – eine neue Oberbürgermeister-Galerie beauftragt und eingerichtet wurde. 1940 erhielt der auf der Reichenau lebende Maler Bernhard Schneider-Blumberg den Auftrag, die Porträts der Oberbürgermeister Gös, Haußer und Scheef zu malen. Julius Gös (1830-1897) und Hermann Haußer (1867-1927) wurden wohl nach Fotografien gemalt, aber es ist anzunehmen, dass Adolf Scheef dem Maler Modell saß. Schneider-Blumberg hielt sich für die Aufträge ein Jahr in Tübingen auf und hatte während dieser Zeit, im Juli 1940, auch eine Ausstellung in der Universitätsbibliothek. Dazu heißt es in der Tübinger Chronik vom 6. Juli 1940, dass die Ausstellung „einer Initiative von Kreisleiter Rauschnabel zu verdanken“ sei, der auch die Eröffnungsrede hielt. Es ist daher zu vermuten, dass Rauschnabel dem Parteigenossen Weinmann den Maler Schneider-Blumberg für die Porträts empfohlen hat.
Am 23. Juni 1941 hieß es im Gemeinderatsprotokoll: „Stadtrat Stockburger weist auf den neuen Sitzungssaal hin, der mit dem Bild des Führers und den Ölgemälden der früheren Oberbürgermeister Bierer, Goes, Dr. h.c. Hausser und Scheef ausgeschmückt wurde.“ Ein Foto des Raumes aus dieser Zeit existiert nicht. Wie lange die Bilder im Rathaus hingen, kann ebenfalls nicht rekonstruiert werden. Vermutlich wurde die Galerie während des Zweiten Weltkrieges zusammen mit dem Archiv und der Sammlung des Kunst- und Altertumsvereins nach Lustnau ausgelagert.
Erstmals fotografisch dokumentiert ist die Galerie auf einem Foto von Alfred Göhner aus dem Jahr 1955: Göhner war zugegen, als ein französischer General das Rathaus besuchte, und hielt fest, wie Oberbürgermeister Hans Gmelin und der General vor den Porträts von Goes und Scheef in der Großen Gerichtsstube, dem heutigen Trauzimmer, stehen.
Bis zur Renovierung des Rathauses 2011 hing die Bürgermeister-Galerie, erweitert um einige frühe und die Bürgermeister nach 1945, eher unscheinbar im 3. Stock des Rathauses. Danach wurden die Gemälde im Stadtmuseum eingelagert. Ende März 2023 wurde die Galerie, ergänzt durch Ankäufe und Schenkungen, wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Zur neuen Präsentation seit 2023: „Hinter den Porträts verbergen sich inzwischen nicht mehr bekannte oder im Lichte aktueller erinnerungskultureller Debatten auch sehr fragwürdige Biografien. Deshalb war es uns ein Anliegen, die Bilder nicht unkommentiert aufzuhängen, sondern ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das diesen Fragen Rechnung trägt“, sagt Dagmar Waizenegger, die Leiterin des Fachbereichs Kunst und Kultur. Einige Bilder wurden deshalb schief gehängt. Aus konservatorischen Gründen wurden die Porträts zudem restauriert und mit Plexiglas versehen.