Gedenken an Kiomars Javadi
Zum Gedenken an Kiomars Javadi hängt in der Wöhrdstraße 2 (im Hinterhof) eine Gedenktafel mit folgender Aufschrift:
„Gegen die Gleichgültigkeit – für Zivilcourage“
Lasst nicht zu, dass Menschenrechte missachtet werden. Tut etwas, wenn Menschen bedroht sind und Hilfe brauchen.
Zum Gedenken an Kiomars Javadi. Er floh in den 1980er Jahren vor dem Krieg im Iran und suchte in Deutschland Asyl. Sein Leben fand am 19. August 1987 im Hinterhof des ehemaligen Tübinger Supermarktes Pfannkuch (Karlstraße 3) ein gewaltsames Ende.
Kiomars Javadi starb am helllichten Tag unter den Augen zahlreicher Zeug_innen im Würgegriff eines Supermarktmitarbeiters.
Wer war Kiomars Javadi (1967–1987)?
Kiomars Javadi wurde 1967 in Share Ray im Iran geboren. Während des achtjährigen Golfkriegs fürchtete er, für den Krieg verpflichtet zu werden. Wer damals im Iran des Militärdienstes verweigerte, wurde politisch verfolgt. So entschloss er sich zu flüchten.
Mit 19 Jahren kam er über die Türkei nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. In Tübingen wohnte er mit seiner Ehefrau in der Unterbringung für Geflüchtete in der Thiepval-Kaserne.
Was ist am 19. August 1987 passiert?
Am 19. August 1987 besuchte Kiomars Javadi den Supermarkt Pfannkuch, der heute nicht mehr existiert. Dort wurde er des Diebstahls beschuldigt. Als er weglaufen wollte, fingen der Filialleiter und ein Lehrling ihn ein.
18 Minuten lang hielt der Lehrling ihn im Würgegriff fest, während der Filialleiter ihm das Bein verdrehte. Mehrere Passant_innen sahen dabei zu. Als die Polizei eintraf, war Kiomars Javadi bereits gestorben.
Das Gericht verurteilte den Filialleiter und den Lehrling wegen fahrlässiger Tötung zu Freiheitsstrafen von jeweils 18 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.
Warum fand ein Beteiligungsprozess statt?
Die AL/Grüne-Fraktion im Gemeinderat Tübingen hat einen Antrag für die Anbringung einer Gedenktafel für Kiomars Javadi gestellt. Daraufhin initiierte die Stabsstelle für Gleichstellung und Integration gemeinsam mit dem Fachbereich Kunst und Kultur einen öffentlichen Beteiligungsprozess.
Am Prozess waren Vertreter_innen der antragstellenden Fraktion, des Integrationsrats, der lokalen Medien, der Wissenschaft, Mitglieder von adis e.V. und Asylzentrum, der Regisseur des Films „18 Minuten Zivilcourage“ sowie die breite Öffentlichkeit beteiligt.
Der Beteiligungsprozess begann 2021 und nahm folgende Fragen in den Fokus: Wie gedenken wir des „Falls Javadi“? Welche Botschaften soll das Gedenken vermitteln?
Was ist im Beteiligungsprozess passiert?
Neben insgesamt sieben Treffen der Arbeitsgruppe „Gedenktafel K. Javadi“ fanden folgende öffentliche Veranstaltungen statt, um die größere Öffentlichkeit in das Gestalten einer Erinnerung an Kiomars Javadi miteinzubeziehen:
- Stadtführung zu Kiomars Javadi „Auf Ge-Denk-Spuren“ mit mehreren Terminen
- Vorführung des Filmes „18 Minuten Zivilcourage“
Im Rahmen der Veranstaltungen konnten sich die Beteiligten über ein passendes und nachhaltiges Gedenken austauschen und ihre Anregungen einbringen. Die Ergebnisse flossen in die Treffen der Arbeitsgruppe ein.
Der Arbeitsgruppe sowie den Teilnehmenden am öffentlichen Beteiligungsprozess war es wichtig, durch das Gedenken eine Botschaft für mehr Zivilcourage zu senden. Hierfür haben sie sich mit mehreren möglichen Gedenkformen und -orten auseinandergesetzt.
Nach dem Beteiligungsprozess präsentierte die Stadtverwaltung im Ausschuss für Kultur, Bildung und Soziales die Ergebnisse des öffentlichen Beteiligungsprozesses und stellte einen Beschlussantrag für eine Gedenktafel in der Wöhrdstraße. Das Gremium stimmte dem Antrag am 15. Juni 2023 zu.